Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
holen ging. Sie zögerte einen Augenblick, unsicher, ob die Ablenkung irgendwie den Stromkreis unterbrechen und den strahlenden Durchgang zum Verlöschen bringen würde, aber es war nicht zu ändern. An eine Flucht ohne !Xabbu und Martine war gar nicht zu denken. Als sie die beiden sanft schüttelte, schienen sie aus einem Traum zu erwachen.
»Kommt schnell!« sagte sie. »Ihr habt’s geschafft! Ihr seid absolut brillant!«
»Bevor du dich zu sehr freust«, brummte Florimel neben dem Gateway, »denk dran, daß sie einen Durchgang geöffnet haben, damit wir einen Mörder jagen können.«
»Florimel«, erwiderte Renie, als sie Martine half, sich zu dem goldenen Licht hinzubegeben, »du hast vollkommen recht. Du kannst auf der andern Seite den Sicherheitsdienst übernehmen. Und jetzt sei still.« Sie sah zu, wie ihre Gefährten hindurchtraten und einer nach dem anderen in dem blendenden Licht verschwanden. Als Martine durch war, beugte sie sich hinab und nahm !Xabbu bei der Hand.
»Das hast du gut gemacht«, lobte sie ihn.
Beim Eintritt in das Gateway blickte sie auf das sonderbare Land zurück, das sie beherbergt hatte und das jetzt in dem hellen Licht noch befremdlicher wirkte. Etwas bewegte sich in der Nähe des Feuers – einen Moment lang meinte sie, eine menschliche Gestalt zu erkennen, aber entschied dann, es sei bloß der Wind, der die Funken aufwirbelte.
Aber es gibt hier keinen Wind, fiel ihr ein. Dann schloß sich das Leuchten um sie.
> Nemesis.2 gab die instabile Erscheinungsform der Flamme auf und nahm kurz eine Gestalt an, die der der soeben verschwundenen Wesen glich. Während das ikonische Zeichen für den Verbindungspunkt, durch den sie gerade gegangen waren, langsam verglomm, machte Nemesis.2 Anstalten, die Gestalt ganz aufzugeben, aber es konnte immer noch nicht zu einer eindeutigen Reaktion auf diese seltsamen Organismen finden.
Es hatte sie mehrere Zyklen lang beobachtet, viel länger, als es – beziehungsweise sein vollständigeres Mutterprogramm – irgendeine andere Anomalie beobachtet hatte, und obwohl es die richtigen Signale nie bekommen hatte, die »XPauljonasX«-Signale, die die Wiederauffindung auslösen würden, hatte es doch etwas an ihrer Informationssignatur gegeben, das sein Interesse erregt und es in einer Art statischer Schleife festgehalten hatte. Hätte man Nemesis.2 Gefühle zusprechen können – was bestenfalls ein grotesker Anthropomorphismus gewesen wäre –, so hätte es Erleichterung verspüren müssen, daß es von der unbefriedigenden, ungelösten Situation befreit war. Doch statt dessen drängte eine starke Aktivierung seiner jagdspezifischen Unterprogramme es dazu, ihnen zu folgen, in ihrer Nähe zu bleiben und sie zu studieren, bis es sich ein für allemal darüber im klaren war, ob es sie ignorieren oder sie aus der Matrix entfernen sollte.
Nemesis.2 wäre den Organismen und ihren unerklärlichen Signaturen längst gefolgt – und war jederzeit dazu imstande, da der Weg, den sie genommen hatten, ihm so deutlich war, wie Fußspuren im Neuschnee es für einen Menschen wären –, aber dieser Knoten hier war selber anomal, und mehr als das, er hatte Anklänge an die größere Anomalie, die das ursprüngliche Nemesisprogramm stutzig gemacht und angelockt hatte (wieder bedurfte es menschlicher Worte, um das Verhalten eines hochkomplizierten, aber leblosen Stücks Code zu beschreiben) und die mit dazu beigetragen hatte, daß es sich einschränkte und vervielfachte, um den sich gleichfalls vervielfältigenden Anforderungen besser gerecht zu werden.
Nemesis.2, oder wenigstens die ursprüngliche Version des Programms, war nicht mit der Fähigkeit zu zögern ausgestattet worden. Daß es dies jetzt tat, hin- und hergerissen zwischen sofortiger Verfolgung der anomalen Organismen und genauerer Erkundung des anomalen Standorts, an dem es sich befand, erklärte vielleicht, warum manche Programmierer, darunter durchaus auch Mitarbeiter in dem hochangesehenen Jericho-Team, das Nemesis geschaffen hatte, von ihren mit viel Phantasie und Arbeitseinsatz entwickelten Produkten gern behaupteten: »Daß du ihnen sagen kannst, was sie tun sollen, heißt noch lange nicht, daß du ihnen sagen kannst, was sie tun sollen.«
Nemesis.2 analysierte, verglich und analysierte abermals. Auf seine kalte Art wog es ab. Eine minimale Zahlendrift, und es entschied sich. Es dachte nicht, und darum hätte es die Mitteilung, daß es damit eine Kettenreaktion auslöste, die die Welt für
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