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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schritte ihres Papis stampf, stampf, stampf die Treppe heraufkommen. Manchmal, wenn sie darauf wartete, daß er hochkam und sie einmummelte und ihr einen Gutenachtkuß gab, fühlte sie sich fast wie die Prinzessin in Dornröschen, die darauf wartete, daß der schöne Prinz durch die stachelige Dornenhecke kam. Zu anderen Zeiten war ihr zumute wie in einem Spukhaus, wenn man hört, daß das Ungeheuer immer näher kommt.
    Er öffnete leise die Tür, dann spürte sie, wie er sich auf ihre Bettkante setzte. »Christabel? Wach auf, Liebes.«
    Sie tat so, als hätte sie ziemlich fest geschlafen. Ihr Herz schlug immer noch ganz schnell, als ob sie lange gerannt wäre. »Was?«
    »Du bist ganz rot im Gesicht«, sagte er besorgt. »Hast du dir irgendwas eingefangen?« Er legte ihr seine große Hand auf die Stirn. Sie war kühl und hart und sehr, sehr schwer.
    »Mir geht’s gut, denk ich.« Sie setzte sich hin. Sie wollte ihn nicht anschauen, weil sie wußte, daß er sie mit seinem Ernstblick betrachtete.
    »Hör zu, Christabel, Liebes, ich möchte, daß wir uns recht verstehen. Die Sache mit der MärchenBrille – wenn deine Mami und ich uns deswegen so aufregen, dann nicht, weil wir dich für böse halten, sondern weil wir uns Sorgen machen. Und es macht uns sehr unglücklich, wenn du uns nicht die Wahrheit sagst.«
    »Ich weiß, Papi.« Sie wollte ihn immer noch nicht anschauen, weniger aus Angst als aus dem sicheren Gefühl heraus, daß sie anfangen würde zu weinen, wenn sie ihm ins Gesicht sah.
    »Warum erzählst du uns dann nicht einfach, was los ist? Wenn es jemand in deinem Alter ist, und ihr macht bloß Quatsch, verstellt eure Stimmen oder sowas, dann werden wir dir nicht böse sein. Aber wenn es ein Erwachsener ist – tja, dann müssen wir das wissen. Verstehst du das?«
    Sie nickte. Seine Finger faßten ihr Kinn und hoben ihr Gesicht hoch, bis sie ihn anschauen mußte, sein großes, breites Gesicht, seine müden Augen, die Bartstoppeln. Es waren die Bartstoppeln – Papi rasierte sich immer jeden Morgen, außer samstags, und manchmal rasierte er sich zweimal am Tag, wenn er und Mami zum Essen ausgingen –, sie waren schuld, daß ihr auf einmal schwummerig im Magen war und daß ihr Gesicht wieder ganz heiß wurde.
    »Hat jemand dich angefaßt? Hat irgend jemand was mit dir gemacht?«
    »N-nein.« Christabel fing an zu weinen. »Nein, Papi!«
    »Red doch mit mir, Kleines. Sag mir einfach, was es mit dieser Brille auf sich hat.«
    Sie versuchte zu antworten, aber konnte zuerst nur so Geräusche machen wie der Staubsauger. Der Schnodder floß ihr aus der Nase, und sie wollte ihn mit dem Ärmel abwischen. Ihr Papi zog ein Papiertuch aus der Zoomer-Zizz-Schachtel und reichte es ihr. Als sie wieder sprechen konnte, sagte sie: »Ich kann’s nicht sagen. Es ist Geheimnis, und …« Sie schüttelte den Kopf, weil sie es nicht erklären konnte. Alles war so schrecklich, alles. Herr Sellars war bei diesem bösen, garstigen Jungen, und sie konnte nicht einmal von zuhause weg, um ihm zu erklären, daß ihre Eltern die Brille hatten und daß sie Mami und Papi ganz traurig machte, weil sie lügen mußte, und daß ihr Papi so müde aussah … »Ich kann nicht.«
    Einen Moment lang meinte sie, er würde wieder wütend werden wie am ersten Abend und losbrüllen oder welche von ihren Spielsachen kaputtmachen, so wie er Prinz Pikapik an die Wand geworfen und sein Innenleben zerdeppert hatte, so daß der Otter jetzt nur noch im Kreis humpeln konnte. Seine Backen waren ganz rot, so rot wie einmal, als er und Captain Parkins sich zu viele »genehmigt« hatten und Sachen über die Cheerleader-Mädchen auf dem Wandbildschirm sagten, die Christabel ganz verlegen und nervös machten.
    »Na gut.« Er stand auf. »Es geht bei uns nicht mehr zu wie im Mittelalter, Christabel, nicht mal so wie vor dreißig Jahren. Ich werde dir also keine Tracht Prügel geben, wie ich sie von meinem Vater gekriegt habe, wenn ich nicht mit der Wahrheit rausrücken wollte. Aber du wirst uns sagen, wo du die Brille herhast, und du wirst nicht zum Spielen rausgehen oder Netz gucken oder ins Seawall Center fahren oder sonst etwas machen, was du gern magst, bis du mit diesen albernen Faxen aufhörst, und wenn wir dich bis zur Highschool im Haus einschließen müssen.«
    Er ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Christabel fing wieder an zu weinen.
     
     
    > Der Mann, der sich drohend vor ihm aufgebaut hatte, war so groß und breit, daß er die Schankstube

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