Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
anfänglichen, so vielversprechend aussehenden Fährten sich mehr oder weniger als Data Morganas erwiesen hatten, die beim Näherkommen zurückwichen und sich dann in nichts auflösten. Beezle hatte viele Informationen über Orlandos letzte paar Monate geliefert, aber ihnen nachzugehen, war erstaunlich schwierig gewesen. Die TreeHouse-Leute hatten Ramseys diskrete Anfragen sämtlich abgeschmettert, zum Teil wohl auch deshalb, weil mehrere Kinder von Netzwerkbenutzern gleichzeitig schwer erkrankt waren, offenbar am Tandagoresyndrom. Vielleicht weil sie eine Klage witterten, wollte keiner der Informatiker bei Indigo Gear je etwas von einem Orlando Gardiner gehört haben, nur eine Werberin mußte zugeben, daß sie ihm ein Stipendium gegeben hatten. Ramsey hatte das Gefühl, ohne die Angst vor möglichen Anprangerungen wegen Vertragsbruch, begangen an einem im Koma liegenden Kind, hätte Indigo dieses Stipendium längst zurückgezogen und sämtliche Unterlagen darüber vernichtet.
Die letzte und größte Hoffnung auf Informationen über Orlandos Aktivitäten in jüngster Vergangenheit war Mittland gewesen, doch auch hier geriet er in eine Sackgasse nach der anderen. Nachdem Anfragen, die Netzwerkdateien einsehen zu dürfen, mit einer höflichen, aber unverkennbaren Verzögerungstaktik beantwortet worden waren, so daß sich seine Nachforschungen auf normalem Wege ein paar Jahre hingezogen hätten, war er gezwungen gewesen, die Suche von innen anzugehen. Doch sein Eintritt in die Simwelt hatte dazu geführt, daß er sich nicht nur mindestens so dumm vorkam, wie er befürchtet hatte, sondern auch dumm in bestimmten Hinsichten, die er nicht vorhergesehen hatte, wovon sein schmerzendes Steißbein jetzt deutlich Zeugnis ablegte.
Beezle hatte ihn zuerst an den ehemaligen Standort von Senbar-Flays magischem Turm geführt, aber das Bauwerk war mittlerweile verschwunden und, wie Beezle mitteilte, nach längerer Nichtbenutzung aus den Dateien von Mittland gelöscht worden. Als Beweis für die Geschwindigkeit der virtuellen Stadterneuerung stand bereits das Schloß eines anderen Zauberers an der Stelle, eine kleine, juwelenfunkelnde Phantasie mit maurischen Minaretten. Attraktives Einstiegs-Château für Hexer, hatte Ramsey sich die Maklerannonce vorgestellt. Es gab sogar Gerüchte von einem Dschinn, der das Gelände bewachte, und der Anwalt verspürte keinerlei Ehrgeiz herauszufinden, ob das stimmte. Es war deutlich, daß an diesem Ort nichts zu holen war. Der Junge, der einst den Zauberer gespielt hatte, lag immer noch in einem Krankenhaus in Florida auf der Intensivstation, aber was Mittland anbelangte, war Senbar-Flay passé.
Ein Ritt in das ferne Katzenrückengebirge, der nahezu eine Woche seiner entsetzlich knappen Freizeit fraß, war nur eine Fortsetzung von Ramseys Pechsträhne. Xalisa Thols Grabhügel, der Ort, wo nach Beezles Angaben die ganze Sache angefangen hatte, war ebenfalls fort. Die Einheimischen munkelten nervös von der Nacht, in der er verschwunden war, von einem furchtbaren Schneesturm, bei dem sich niemand vor die Tür getraut habe, und von den Schneewölfen, die es hätten geraten erscheinen lassen, nach dem Sturm nicht gleich aus dem Haus zu rennen.
Also war Ramsey in der Hoffnung, auf die altmodische Weise etwas aufzutun, nach Madrikhor zurückgekehrt. Im wirklichen Leben hatte er sich, wenn er in Personenschadensfällen ermitteln mußte, in einige der häßlichsten Stadtteile von Washington und Baltimore begeben, wie schlimm konnte es da sein, in einem virtuellen Märchenland den Schnüffler zu spielen?
Schlimmer, als er gedacht hatte, stellte sich heraus. Selbst die unangenehmsten Bewohner der Sozialsiedlung Edwin Meese Gardens hatten nie versucht, Ramsey einen Basilisken in den Hosenlatz zu stopfen.
Er saß in einer kleinen, heruntergekommenen Taverne, die »Zum blauen Räuber« hieß, trank gerade seinen Becher Met aus und pries sich glücklich, daß er für die Geschmackssimulation seines Gears nicht mehr angelegt hatte, als eine Gestalt auf seinen wohlweislich gewählten Platz in einer der dunkleren Ecken zugeschlingert kam. Es war ein langer, gelegentlich qualvoller Tag gewesen, und der »Blaue Räuber« lag in einem der anrüchigeren Viertel von Madrikhor, so daß Ramsey, als jetzt der Fremde vor ihm stehenblieb und dann noch eine andere unbekannte Figur neben ihm erschien, seufzte und sich auf die nächste Abreibung gefaßt machte.
»Ho!« sagte der größere der beiden, ein muskulöser
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