Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
herkommst. Du hast es versprochen.«
»Ich hab gar nichts versprochen.« Sie starrte ihn durchdringend an, aber er kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, daß sie nicht böse war, sondern nachdachte. Sie wandte sich Fredericks zu. »Ich nehme an, du willst es auch hören.«
Orlandos Freund nickte nachdrücklich. »Es wär nett, zur Abwechslung mal irgendwas zu erfahren.«
»Na schön. Aber ich will keine Fragen hören, bis ich fertig bin, und wenn ihr vorher eure Schnäbel aufreißt, werde ich kommentarlos abrauschen.« Sie kniff die Brauen zusammen, um deutlich zu machen, daß es ihr ernst war. »Und ich werde nichts zweimal sagen. Mein Mann Terence und ich gehören der Offenbarungskirche Jesu Christi in Porterville, Mississippi, an, und wir sind stolz drauf, im Weinberg des Herrn zu arbeiten. Das müßt ihr zuallererst mal begreifen. Wir sind Christen von der resoluten Sorte, könnte man sagen, jedenfalls sagt das unser Pastor. Wir legen uns tüchtig für Jesus ins Zeug, und mit Larifarikram wie Kirchenpicknicks und gemeinsamem Autowaschen haben wir nix am Hut. Wir gehen zur Kirche, und wir singen, und wir beten, und manchmal wird’s dabei ein bißchen laut. Manche Leute meinen, wir wären Krakeeler, denn wenn der Herr seine Hand auf einen von uns legt, können wir nicht anders, als zu rufen und zu jubeln und es allen zu sagen.«
Wie hypnotisiert vom Rhythmus ihrer Stimme mußte Orlando wider Willen nicken, obwohl er nur eine höchst vage Vorstellung hatte, wovon sie redete. Seine Eltern hatten ihn nur einmal in eine Kirche mitgenommen, zur Hochzeit eines Cousins, und gingen selber eigentlich nur zur Kammermusik hin, wenn eines der Gotteshäuser in der Nähe zum Konzertsaal umfunktioniert wurde.
»Und wir haben’s auch nicht damit, ständig über andere zu urteilen«, erklärte sie in einem Ton, der so klang, als wäre Orlando im Begriff gewesen, sie genau dessen zu beschuldigen. »Unser Gott ist allmächtig, und er zeigt den Menschen die Wahrheit. Was sich hinterher in ihren Herzen tut, geht nur sie und Gott was an. Ist das klar, Jungs?«
Orlando wie auch Fredericks beeilten sich, das zu bejahen.
»Gut. Nun hat der Herr Terence und mich nicht mit Kindern gesegnet – sein Plan mit uns sah anders aus, aber ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, ich hätte nie damit gehadert. Aber wir bekamen beide reichlich Gelegenheit, mit Kindern zu arbeiten, Terence als Werkunterrichtslehrer in der Mittelstufe, ich als Schwester in der Notaufnahme im Krankenhaus von De Kalb. So traurig es ist, aber eine Menge Kinder, die da ankommen, sind wirklich übel dran. Wenn ihr meint, ihr hättet Gott in euerm Herzen und euerm Leben nicht nötig, dann habt ihr noch nie erlebt, wie nach einem Schulbusunfall ein Krankenwagen nach dem andern ankommt und jedesmal zwei oder drei Kinder einliefert. Das ist ein ganz schöner Härtetest.
Na, egal, das tut nichts zur Sache. Was ich eigentlich sagen will, ist, daß unser Leben ziemlich ausgefüllt war. Der Herr hatte uns bereits unsere Arbeit gegeben, und Nichten und Neffen hatten wir auch, und wenn wir manchmal darüber rumgrübelten, warum Gott uns nicht selber auch ein Kind gönnte, dann grübelten wir jedenfalls nicht lange. Dann kam Herr Al-Sajjid in die Offenbarungskirche.
Er war so ein kleiner dunkelhäutiger Mann, ging mir knapp über die Schulter, und ich bin alles andere als groß, und als Pastor Winsallen ihn nach vorn holte und vorstellte, dachte ich erst, er würde für eins von diesen unterentwickelten Ländern sammeln, von denen man nur was hört, wenn grade mal wieder ein Erdbeben war oder sowas. Aber er hatte eine sympathische Stimme, sehr distinguiert, wie dieser englische Gentleman, der immer im Netz in der Kunstfleischwerbung kommt – wißt ihr, wen ich meine? Na, jedenfalls erzählte uns dieser Herr Al-Sajjid, er würde zu den Kopten gehören. Ich wußte nicht, was das heißen sollte, dachte erst, er hätte irgendwas mit Helikoptern zu tun, und konnte mir keinen Reim drauf machen. Aber er erklärte, er käme aus Ägypten, und die Kopten wären eine christliche Kirche, auch wenn wir noch nie was von ihnen gehört hatten. Er hielt eine kleine Ansprache über die Gruppe, deren Mitglied er war, und sie nannte sich Kreis der Gemeinschaft und machte alle möglichen wohltätigen Sachen in armen Ländern, und dann führte Pastor Winsallen eine Kollekte für ihn durch, wie ich’s mir schon gedacht hatte.
Erst hinterher haben wir die ganze Wahrheit
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