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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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oder nach dem Unendlichen, oder wie die Leute sonst dazu sagen. Na ja, einige der Leute im Kreis, sagte er, hätten das Gefühl, irgendwas sei … nicht richtig. Wenn sie beteten oder meditierten, oder was sie sonst machten, spürten sie eine Veränderung in … in dem Ort, wo sie hingingen, oder in der Empfindung dabei. Im Heiligen Geist, würden wir von der Offenbarungskirche sagen. Zum Beispiel, wenn du in ein Zimmer gehst, das du gut kennst, kannst du manchmal spüren, ob jemand anders drin ist, nicht?«
    Orlando schüttelte den Kopf. »Da komm ich leider nicht mit. Mir tut der Kopf weh. Nicht von dem, was du erzählst«, fügte er hastig hinzu. »Einfach weil ich krank bin.«
    Diesmal war das Lächeln der Frau geradezu gütig. »Natürlich, Junge. Und ich rede und rede. Es gibt darüber sowieso nicht viel mehr zu berichten, weil ich im Grunde selber nicht verstehe, was das heißen soll. Aber du leg dich jetzt erstmal schlafen, und morgen überlegen wir, wo wir hingehen.«
    »Wo wir hingehen?«
    »Wie gesagt, das ist eine Kriegszone hier. Diese elenden Kreaturen Tefi und Mewat, die Handlanger von Osiris, sind kräftig dabei, den Aufstand niederzuschlagen. Aber wenn das geschehen ist, verspreche ich dir, daß sie von Haus zu Haus gehen und sich jeden greifen, den sie als Sympathisanten bezeichnen möchten, damit alle eine Heidenangst kriegen und sowas nicht wieder vorkommt. Und ihr beiden seid auffällig wie zwei bunte Hunde. So, und jetzt geht schlafen.«
     
    Orlando schlief, aber nicht sehr ruhig. Wie vorher, als er in dem Tempel gefangen war, trieb er in einem schwarzen Meer aufgewühlter Fieberträume, das in Wellen über ihn hinwegschwappte. Verschiedene Kindheitsbilder, allesamt nicht aus seinem eigenen Leben, folgten eines nach dem anderen, dazu im Wechsel rätselhafte Visionen der schwarzen Pyramide, die wie ein ungeheurer schweigender Beobachter alles überragte.
    Am befremdlichsten jedoch waren Träume, die nicht von Kindern und auch nicht von Pyramiden handelten, sondern von Dingen, an die er sich weder aus dem Wachen noch aus seinen Träumen erinnern konnte – ein von Wolken umlagertes Schloß, ein Dschungel voll blütenschwerer Zweige, das Kreischen eines Vogels. Er träumte sogar von Ma’at, der Göttin der Gerechtigkeit, aber nicht, wie sie ihm vorher erschienen war, mit Feder und in ägyptischer Tracht: Die Traumversion war in einem Käfig eingesperrt, ein geflügeltes Wesen, das mehr Ähnlichkeit mit einem Vogel als mit einem Menschen hatte und seine Blöße nur mit Federn bedecken konnte. Der einzige identische Zug war die Traurigkeit, der tiefe, kummervolle Blick in ihren Augen.
    Als er aufwachte, strahlten die weißen Wände im Morgenlicht. Sein Kopf tat immer noch weh, aber er fühlte sich ein wenig klarer an als am Abend zuvor. Die Träume waren nicht ganz verflogen: In den ersten bewußten Momenten lag er einerseits in einem Bett in Ägypten und schaukelte andererseits auf stürmischer See. Als er mit einem Stöhnen die Beine von der Pritsche schwang, rechnete er halb damit, in kaltes Wasser zu tauchen.
    Bonita Mae Simpkins’ kleiner, schwarzhaariger Kopf lugte um den Türpfosten. »Meinst du, du bist schon soweit, daß du aufstehen kannst, Junge? Soll ich dir einen Topf bringen?«
    Ein erster Versuch hatte ihn überzeugt, daß er sich mit dem Aufsetzen noch Zeit lassen sollte. »Einen was?«
    »Einen Topf. Du weißt schon, um dein Geschäft drin zu machen.«
    Orlando schüttelte sich. »Nein, danke!« Er überlegte einen Augenblick. »Das haben wir hier doch gar nicht nötig.«
    »Na ja, manchen Leuten ist es lieber, Sachen auf die normale Art zu machen, wenn sie sich lange in der VR aufhalten, selbst wenn es keine wirkliche Rolle spielt.« Sie hatte aus der Hand gelegt, womit sie gerade beschäftigt gewesen war, und betrat jetzt das Zimmer. »Herr Dschehani – ein anderes Mitglied im Kreis – meinte, daß man sich seelisch leichter tut, wenn man sich so verhält, als wäre man noch in der wirklichen Welt, und einfach weiter trinkt und ißt und sogar …«
    »Alles klar«, sagte Orlando hastig. »Wo ist Fredericks?«
    »Er schläft. Er hat die halbe Nacht bei dir gewacht. Du hast ein Mordstheater gemacht.« Sie legte ihm die flache Hand auf die Stirn, dann richtete sie sich auf. »Du hast im Schlaf von Ma’at gesprochen, der Göttin mit der Feder.«
    Orlandos Vorsatz, Missus Simpkins zu fragen, ob seine Träume ihr etwas sagten, wurde von einer Wolke kleiner gelber Schwirrer

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