Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
spitzgekriegt. Pastor Winsallen fragte Terence und mich, ob wir noch auf ein Gespräch dableiben würden, wenn die übrige Gemeinde nach Hause gegangen war, und da sagten wir natürlich ja. Wir dachten, er würde uns bitten, den kleinen Mann bei uns zuhause unterzubringen, und mir war ganz mulmig, weil ich noch die ganzen Sachen von meiner Mutter in Kisten im Gästezimmer stehen hatte und ewig nicht gelüftet hatte und gar nichts. Wahrscheinlich war ich auch ein bißchen besorgt, weil ich noch nie einen Ausländer im Haus gehabt hatte und nicht wußte, was so einer ißt und überhaupt. Aber das war’s gar nicht, was der Pastor wollte.«
Missus Simpkins hielt sinnierend inne. Einen Moment lang lächelte sie beinahe, das heißt, sie verzog den Mund, vielleicht aus Verlegenheit. »Das war der seltsamste Abend in meinem Leben, das kann ich euch sagen. Was rauskam, war nämlich, daß die Gruppe von diesem Herrn Al-Sajjid einmal viel größer und … ungewöhnlicher war, als er vorher verraten hatte, und außerdem kannte Pastor Winsallen ein paar von ihnen aus seiner Studienzeit und wollte ihnen gerne helfen. Aber das wirklich Seltsame sollte erst noch kommen. Herr Al-Sajjid fing an, seine Geschichte zu erzählen, und ich muß sagen, es hörte sich echt wie irgendwas aus den verrücktesten Science-Fiction-Spinnereien an. Draußen wurde es dunkel, während er redete, und ich dachte, ich wäre in einem Traum, so unglaublich waren die Sachen, die er erzählte. Aber unser Pastor Winsallen – Andy Winsallen, den ich kenne, seit er als Dreizehnjähriger mit einem gebrochenen Bein eingeliefert wurde –, der saß dabei und nickte bloß zu allem. Er kannte es schon, und er glaubte es, das war offensichtlich.
Ihr kennt manche Sachen, die Herr Al-Sajjid uns erzählte, weil ihr sie auch erzählt bekommen habt – von den Gralsleuten und den schlimmen Sachen, die sie unschuldigen Kindern antun –, aber es kam noch mehr. Herr Al-Sajjid sagte uns, seine Gruppe, dieser ›Kreis‹ von einig zusammenarbeitenden Leuten aus den verschiedensten Religionen, wäre der Meinung, daß die Gralsleute die Kinder irgendwie für ihre Unsterblichkeitsmaschinen bräuchten und daß sie in Zukunft immer mehr davon nötig hätten, weil schon einige Kinder gestorben wären, obwohl das Projekt erst ein paar Jahre lief, und diese Leute sich vorgenommen hätten, ewig zu leben.«
»Heißt das, daß Sellars einer von denen war, Orlando?« fragte Fredericks plötzlich. »Einer von diesem Kreis der Gemeinschaft, oder wie sie sich nennen?«
Orlando konnte nur mit den Achseln zucken.
»Ich für mein Teil hab noch nie was von euerm Sellars gehört«, erklärte Missus Simpkins. »Na ja, aber das merkwürdigste an dem Abend war, als Herr Al-Sajjid uns erzählte, daß einer der Leute aus dem Kreis – die richtige Gruppe hat das mit der ›Gemeinschaft‹ nicht im Namen, das ist bloß einer von ihren Wohltätigkeitsverbänden – ein Russe war, ein Wissenschaftler, glaube ich, und der hatte den andern aus dem Kreis erklärt, seiner Meinung nach wären diese Gralsbrüder dabei … tja, ein Loch in Gott zu bohren.«
Orlando wartete einen Moment ab, weil er dachte, nicht richtig gehört zu haben. Er warf Fredericks einen raschen Blick zu, doch der blickte, als hätte er gerade einen Stein an den Kopf bekommen. »Ein Loch in …? Was ist das für ein Scänblaff? Das heißt, na ja, nichts für ungut, aber …«
Bonita Mae Simpkins’ Lachen klang wie ein Peitschenknall. »Genau das hab ich auch gesagt, Junge! Nicht ganz die Worte, aber unterm Strich ziemlich genau dasselbe. Ich war überrascht, daß Pastor Winsallen das nicht gotteslästerlich fand, aber der saß einfach da und guckte ernst. Ich dachte mir: Schöne Sachen scheint der junge Spund im Studium gelernt zu haben, jedenfalls hab ich noch nie sowas gepredigt gehört.« Sie lachte wieder. »Herr Al-Sajjid versuchte es uns zu erläutern. Er hatte so ein freundliches Lächeln! Er meinte, bei allen Unterschieden zwischen unsern Glaubensrichtungen – seinen Kopten, uns Baptisten, den Buddhisten und Moslems, und was sie sonst noch an Religionen in ihrem Kreis haben – gäbe es doch eine Sache, die wir alle gemeinsam hätten. Er sagte, wir alle glaubten, wir könnten uns, na ja, in den richtigen Geisteszustand versetzen, um Gott zu erreichen. Wahrscheinlich drücke ich das falsch aus, weil er ein sehr guter Redner war, und ich bin das nicht, aber darauf läuft’s mehr oder weniger raus. Wir streben nach Gott
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