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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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beim Zurückziehen der Hand feststellte, daß etwas Dunkles daran klebte.
    »O Gott! Er blutet am Kopf.«
    »Dann is er tot«, meinte Joseph nicht einmal lieblos. »Wennse einen in den Kopf schießen, der geht am Montag nich mehr zur Arbeit.«
    »Sei still und faß mit an. Wir müssen ihn da hinten hinziehen, wo ich ihn mir genauer angucken kann.«
    Joseph hatte recht gehabt, über Del Rays Arm lag tatsächlich ein langes, schweres Rohr etwa von der Dicke einer Weinflasche. Sie schoben es herunter, und obwohl Jeremiah zusammenzuckte, als es scheppernd aufkam, atmete er auch ein wenig auf. Vielleicht war Del Ray gar nicht erschossen worden. Vielleicht war dieses Ding auf ihn gefallen und hatte ihn im Dunkeln niedergestreckt.
    Jeremiah blickte auf, und wieder blieb ihm fast das Herz stehen. Wie überdimensionale Mikadostäbchen hingen die schweren Eisenrohre, die meisten nur noch an einem Ende fest, kreuz und quer von der Decke, als ob eine gewaltige Hand hochgefaßt und sie aus ihrer Verankerung gerissen hätte. Das Ganze sah aus, als ob es jeden Moment herunterkrachen könnte. Er trieb Joseph zur Eile an, und gemeinsam schleiften sie Del Ray auf den Hauptgang.
    Da fiel Jeremiah der Revolver ein. Ihm war gar nicht wohl bei dem Gedanken, sich ein zweites Mal zurückzuwagen und Del Rays Wunden noch länger unversorgt zu lassen. Was konnten ihnen ein einzelner Revolver und ein paar Kugeln schon nützen? Joseph machte ungeduldige Töne. Jeremiah zögerte, dann gab er sich einen Ruck und schlich so leise wie möglich zurück unter die Damoklesschwerter der geborstenen Rohre. Del Rays Jackett lag kaum sichtbar im Schatten. Jeremiah griff es sich, klopfte die Taschen ab, bis er das unverkennbare schwere Stück Metall fühlte, und verzog sich in Windeseile.
     
    Während Joseph die Anzeigen an den V-Tanks überprüfte, untersuchte Jeremiah in einem der Nebenräume Del Ray, den sie mit einer Decke auf einen Konferenztisch gelegt hatten. Er fühlte eine deutliche Schwellung an der linken Kopfseite des jungen Mannes, eine Beule unter einer langen, aber anscheinend flachen Platzwunde. Seine Finger wurden ganz feucht von Blut. Jeremiah hätte gern geglaubt, daß dies die einzige Verletzung war, aber auch Del Rays Hemd war am Kragen und an den Schultern ziemlich dunkel und glitschig. Er hoffte, daß es nur das Blut von der Kopfwunde war, in dem der junge Mann gelegen hatte, aber sicher war er sich nicht.
    Vielleicht hat er erst einen Schuß abbekommen und dann beim Fallen nach einem losen Rohr gefaßt.
    Zufrieden damit, daß Del Ray immerhin atmete, schnitt Jeremiah ihm mit seinem Taschenmesser das Hemd auf. Long Joseph kam aus dem Hauptraum herein und sah mit zweifelnder Miene zu, doch auf Jeremiahs Bitte trat er näher und half Del Rays drahtigen Körper umdrehen, damit Jeremiah den Rücken in Augenschein nehmen konnte.
    Jeremiah spritzte aus einer Plastikflasche Wasser auf einen zerschnittenen Hemdstreifen und begann das Blut abzuwischen, heilfroh, daß die Deckenbeleuchtung noch brannte – ihn gruselte bei der Vorstellung, das mit einer Taschenlampe zu machen und vielleicht eine lebensgefährliche Wunde zu übersehen. Zu seiner Erleichterung entdeckte er nichts, was auf weitere Verletzungen hindeutete. Er nahm eine kleine Flasche aus dem Verbandskasten, befeuchtete ein einigermaßen sauber gebliebenes Stück von Del Rays Hemd und säuberte damit die Kopfwunde.
    »Was haste da für’n Zeug drauf?« fragte Joseph.
    »Alkohol. Nicht die Sorte, die man trinken kann.«
    »Weiß ich«, erwiderte Joseph entrüstet.
    Wahrscheinlich aus Erfahrung, dachte sich Jeremiah, aber behielt es für sich. Der Rand der aufgeplatzten Stelle war rissig, doch vorsichtiges Abtasten ergab, daß das Loch nicht tief war – ein Einschuß war ausgeschlossen. In besserer Stimmung als die ganze Stunde davor faltete er einen feuchten Hemdfetzen zusammen und band ihn mit einem der abgeschnittenen Ärmel über die Wunde. Dann drehte er Del Ray mit Josephs Hilfe wieder auf den Rücken.
    Das Stöhnen des jüngeren Mannes klang so gequält, daß Jeremiah vor Schreck erstarrte, weil er meinte, bestimmt etwas furchtbar falsch gemacht zu haben. Da erzitterten Del Rays Lider und gingen auf. Die Pupillen huschten einen Moment richtungslos hin und her, geblendet von den hellen Leuchtstoffröhren.
    »Seid … seid ihr das?« fragte Del Ray schließlich. Er hätte jeden meinen können, aber Jeremiah war nicht zu Haarspaltereien aufgelegt.
    »Ja, wir sind’s. Wir haben

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