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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sein wollte. Die flüchtige Bemerkung ihrer Mutter hatte ihr den ganzen Vormittag keine Ruhe gelassen; der Gedanke, daß scharfe Drähte im Innern von Herrn Sellars steckten, hatte sie fast zum Weinen gebracht.
    »Ach, einen kleinen Moment, Christabel«, sagte er zu ihr, dann winkte er Herrn Ramsey zu sich.
    Christabel merkte, daß es dem dunkelhäutigen Mann nicht besonders gut ging, denn er lächelte sie nicht an, und obwohl sie ihn erst kurz kannte, wußte sie, daß er einer von denen war, die Kinder fast immer anlächelten. »Ich fühle mich schrecklich«, sagte er zu Herrn Sellars. »Was war ich doch für ein Vollidiot! Es fällt mir immer noch schwer, diese ganze Geschichte richtig ernst zu nehmen. Aufpassen zu müssen, daß einem keiner auf die Spur kommt – es ist wie in einem schlechten Netzthriller.«
    »Niemand macht dir Vorwürfe«, erwiderte Herr Sellars sanft. »Aber ich wollte dich noch etwas fragen, ehe ich in mein Sanctum sanctorum für unterwegs verschwinde. Hast du seit unserem Gespräch heute morgen eine Rückmeldung von Olga Pirofsky bekommen?«
    »Nein. Nichts.«
    »Hm. Stell dir vor, du wärest sie, und du hättest etwas so Gefährliches und Bedenkliches vor wie sie, wenn dann dein Anwalt dir eine Nachricht zukommen ließe, die besagt: ›Unternimm nichts, bevor du mit mir gesprochen hast!‹, was würdest du vermuten?«
    Christabel konnte sehen, daß Herr Ramsey angestrengt nachdachte, genau wie sie, wenn sie der Lehrerin nicht zugehört hatte und trotzdem eine Frage gestellt bekam. »Ich weiß nicht. Ich würde wohl annehmen, daß mein Anwalt versuchen wollte, mir diese tollkühne Sache auszureden.«
    »Genau. Und wenn du sie wärest, würdest du darauf antworten?«
    Obwohl Herr Sellars mit seiner üblichen leisen, hauchigen Stimme redete, machte Herr Ramsey jetzt ein Gesicht wie Christabel, wenn die Lehrerin sie anschrie. »Nein. Nein, vermutlich nicht. Nicht wenn ich schon fest entschlossen wäre.«
    »Ich denke, das ist wahrscheinlich der Fall. Falls ich einen Vorschlag machen darf – schick ihr doch noch einmal eine Mitteilung ungefähr des Inhalts: ›Ich weiß, was du vorhast, und ob du’s glaubst oder nicht, ich denke, du hast recht, und ich möchte dir gern helfen, so sicher wie möglich hineinzukommen. Bitte setz dich mit mir in Verbindung.‹«
    »Richtig. Richtig.« Herr Ramsey machte auf dem Absatz kehrt und ging mit raschen Schritten zu seinem Motelzimmer zurück.
    »So, kleine Christabel«, meinte Herr Sellars, »wie ich sehe, kommt da dein Vater, um mich in meinen Pilotensitz zu schnallen. Die besten Anführer dirigieren immer von hinten, weißt du. Oder sogar von unten.« Er lachte, aber Christabel fand, daß er so ernst wirkte, wie sie ihn selten erlebt hatte. »Ich bin im Handumdrehen wieder draußen. Gute Reise, und bis bald.«
     
    Der Junge saß bereits im Wagen. Christabel war von den ganzen Ereignissen zu verwirrt und bekümmert, um sich groß davon stören zu lassen.
    »Wase los, mu’chita?« fragte er.
    Sie beachtete ihn gar nicht, weil sie mit der Frage beschäftigt war, warum Herr Sellars so anders gewirkt hatte als sonst, so düster unter seinem Lächeln, so gedrückt und müde.
    »Eh, red ich mit dir, Tussi!«
    »Weiß ich«, versetzte sie. »Ich muß nachdenken. Red mit dir selbst.«
    Er beschimpfte sie, doch das war ihr egal. Wenn ihre Mutter nicht ständig gekommen wäre, um Taschen und Koffer zu verstauen, hätte er sie wahrscheinlich gepiekt oder gezwickt. Selbst das wäre ihr egal gewesen. Herr Sellars war sehr traurig. Etwas Schlimmes war im Gange, noch schlimmer als die schlimmsten Sachen, die sie sich ausgemalt hatte, bevor ihre Eltern ihr auf die Schliche gekommen waren.
    »Okay, okay, sagse mir einfach, was denk, okay?«
    Überrascht vom Ton in der Stimme des Jungen blickte sie auf. Er sah gar nicht böse aus, oder wenigstens nicht nur.
    »Herr Sellars. Ich denke über Herrn Sellars nach«, sagte sie.
    »Ise komische viejo, is.«
    »Er hat Angst.«
    »Yeah. Ich auch.«
    Sie glaubte, sich verhört zu haben. Sie mußte ihn anschauen, um sich zu vergewissern, daß er derselbe fies guckende Junge mit der Zahnlücke war. »Du hast Angst?«
    Er starrte sie an, als rechnete er damit, daß sie ihn gleich verspottete. »Bin nich blöd, eh. Paar Sachen ’ab ich ge’ört, wo sie gered ’am. Daß Armeemänner wollen sie kaltmachen, die Sachen. Is vollblock, tick? Die azules, Polizei und so, meistens die wollen nix von Leute wie dein Mama und Papa, wollen

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