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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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die Angaben auf einem Straßenschild.
    Was phantasierst du da von irgendeinem scheiß Bois-de-Savy? Das ist alles nicht real – jedenfalls deine Erinnerungen daran sind es nicht. Das war alles nur fauler Zauber.
    Aber es fühlte sich real an. Was er aus dem simulierten Ersten Weltkrieg noch im Gedächtnis hatte, unterschied sich für sein Empfinden nicht von den wiedererlangten Erinnerungen an sein wirkliches Leben, sei es die muffige Routine seiner Arbeit in der Tate oder sein seltsames Jahr in Jongleurs Turm.
    Woher willst du eigentlich wissen, ob irgendwelche von diesen Erinnerungen real sind? Das war eine Frage, die er sich lieber nicht stellen wollte, schon gar nicht hier in dem eisigen Nebel, der das Ende der Welt verschleiern mochte, die Pforten des Fegefeuers. Woher willst du es wissen? Woher willst du wissen, ob Paul Jonas überhaupt dein richtiger Name ist, ob die Ereignisse, die du im Kopf hast, tatsächlich geschehen sind?
    »Tretet vor.« Martines krächzende Stimme verscheuchte die Hirngespinste. »Wir müssen uns sicherheitshalber beim Durchgehen an den Händen halten.«
    »Hast du Ägypten gefunden?« Paul faßte Florimels rauhe Finger, und die nahm ihrerseits T4bs freie Hand.
    »T-tretet einfach m-m-mit durch. Ich erkläre es h-hinterher. Schnell! Ich e-erfriere!«
    Vibrierende blaue Lichtschwaden wallten um ihre Füße auf, als sie voranschritten, und Funken schillerten in der Luft wie betrunkene Glühwürmchen. Paul fühlte, wie sich ihm die Haare von der elektrischen Ladung sträubten.
    Jede Einzelheit, staunte er, sie haben an jede Einzelheit gedacht.
    Zwanzig Schritte weiter trat er hindurch in glutheiße Luft und sengende Sonne, die ihn traf wie ein Hammerschlag.
     
    Der Fluß war immer noch da, floß aber jetzt etliche hundert Meter unter ihnen im grellen Sonnenschein funkelnd durch eine schroffe Schlucht aus roter Erde. Die unbefestigte Straße, auf der sie standen, war höchstens fünf Meter breit. Es war ein wenig, als wären sie auf den Pfad an der Flanke des schwarzen Berges zurückgekehrt.
    »Es ist… dem Index zufolge ist das hier …« Martine klang ein wenig benommen. »… Dodge City. Ist das nicht ein historischer Ort im amerikanischen Wilden Westen?«
    Pauls verwundertes Pfeifen wurde von einem lauten Überraschungsschrei von T4b unterbrochen. Sie drehten sich um und sahen den jungen Mann vor dem Gefährt zurücktaumeln, das vorher ihr Boot gewesen, jetzt aber ein großer hölzerner Wagen mit Speichenrädern war. Der Gegenstand seiner Bestürzung war jedoch weniger diese Verwandlung, obwohl auch die schon merkwürdig genug war, als das Tier, das vor den Wagen gespannt war.
    »I-i-ich hatt das Seil vom Boot in der Hand, irgendwie«, stammelte T4b, als er neben Paul stehenblieb. »Und jetzt, wo wir durch sind, isses das!«
    Das struppige schwarze Geschöpf in den Zugriemen hatte ungefähr die Gestalt eines Pferdes, aber seine Hinterbeine waren zu groß, und seine Vorderbeine endeten in grobknochigen Händen, die an die eines großen Menschenaffen erinnerten. Sein Gesicht war lang, aber nicht so lang wie das eines Pferdes, und winzige Öhrchen lagen an den Seiten seiner vorspringenden Stirn.
    »Was ist das?« fragte Paul. Das Tier hatte den Kopf gesenkt und rupfte am Rand der Piste dürres Gras. »Irgendwas Ausgestorbenes?«
    »Nichts, was es meines Wissens je gegeben hat«, meinte Florimel. »Nicht mit Fingern, nein, gewiß nicht. Ich glaube, es ist eine Erfindung.«
    »Es ist alles anders, als ich es erwartet hatte.« Martine ließ ihre blinden Augen über die Schlucht schweifen. Auf der anderen Seite zeichneten sich auf dem Grat seltsam geformte Gestalten ab, die Paul kurzzeitig für menschliche Späher gehalten hatte, aber in denen er jetzt Kakteen erkannte. »Ich … glaube nicht, daß es in Kansas jemals so hohe Berge gegeben hat, auch im neunzehnten Jahrhundert nicht.«
    »Warum sind wir hier?« Paul war dankbar für die heiße Sonne – er begann sogar ein wenig zu schwitzen. Er ließ seine Decken, die sich bis auf die Muster wenig geändert hatten, auf die staubige Straße fallen.
    »Um einen alten Witz zu wiederholen«, sagte Martine. »Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, daß die ägyptische Simwelt noch existiert, oder wenigstens ist sie noch auf dem Index. Die schlechte ist, daß wir von der Tausendundeine-Nacht-Welt nicht dorthin kommen konnten.«
    »Und von dieser hier?«
    »Nicht wenn wir sie ganz durchqueren«, antwortete sie.

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