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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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herauswand, sah er, daß sein Körper mit großen Kupfer- und Silberteilen besetzt war, als ob seine Knochen aus Metall wären und durch die hornartige, gemusterte Haut ragten. Auch hatte es keine glatte Schlauchform, sondern war in Segmente untergliedert wie ein Kinderspielzeug, aber das allermerkwürdigste waren die Räder unten an jedem Segment, große runde Knöpfe aus Bein.
    »Es ist …« Absurderweise suchte er selbst jetzt noch, wo ihm vor Schreck fast das Herz stehenblieb, nach dem richtigen Ausdruck. »… ein Bergwerkszug! Förderwagen!«
    Unter Kreischen und Kratzen wand sich das Ding auf die Straße. Einen Moment lang versuchte es, einen Kreis zu schließen, doch auf der schmalen Fläche am Rand der Schlucht war für seinen mächtigen Leib nicht genug Platz, und so bäumte es sich schwankend auf. Allein mit seinen zwei vorderen Gliedern stieg es mehrere Meter hoch, und die großen, facettierten Rosenquarzaugen betrachteten ihren Wagen, der jetzt wie gebannt am Fleck stand, da Florimel damit zu tun hatte, das erschrockene Pferdewesen zu beruhigen. Eine Zunge wie ein gehärteter Quecksilberstrom zuckte mehrmals hervor, dann ließ sich die Schlange fallen und glitt mit furchterregender Geschwindigkeit die Straße hinunter auf sie zu.
    »Nichts wie raus!« schrie Paul. »Es kommt! Wir müssen rennen!«
    »Quatsch!« T4b sprang von der Ladefläche auf den Kutschbock und riß Florimel die Zügel aus der Hand. »Hab ich schon mal gemacht – ist genau wie in Baja Hades!«
    Er peitschte die Flanke des Pferdewesens mit dem Zügelende, und mit einem schrillen Schmerzens- und Überraschungsschrei schoß es so ruckartig los, daß der Wagen beinahe umgekippt wäre. Paul konnte sich nur mit knapper Not am Rand festhalten. Er hatte sich gerade wieder einigermaßen gefangen, da sauste der Wagen um eine Kurve, und er flog seitlich gegen Martine und hätte sie beinahe über die niedrige Umrandung gestoßen. Das Schlangenmonster hinter ihnen war für den Augenblick nicht zu sehen.
    »Hopp und ex!« jubelte T4b. »Sag ja, hab ich schon mal gemacht.«
    »Das ist kein Spiel!« brüllte Paul ihn an. »Das hier ist gottverdammt real!«
    Florimel nützte ein gerades Stück Straße aus, um nach hinten zu den anderen zu hechten. Sie klammerte sich mit beiden Händen neben Paul an das Seitenbrett.
    »Wenn wir das überleben«, keuchte sie, »bring ich ihn um.«
    Die Chancen dazu verschlechterten sich rapide. Zwar legte der schlingernde Wagen auf der steiler werdenden Strecke an Tempo zu, aber schon bog der mächtige Kopf des Schlangenmonsters hinter ihnen um die Ecke, gefolgt von dem holpernden Hinterleib. Da zu Rädern als Fortbewegungsmittel noch die Muskelkraft seines metallbestückten Körpers kam, holte es zusehends auf.
    Sie donnerten über Steine, die auf der Straße lagen, und Paul hob wie schwerelos von der Ladefläche ab, um gleich darauf wieder hart mit dem Rücken auf die Bretter zu knallen. Ein Körper, entweder Florimel oder Martine, plumpste auf ihn drauf und nahm ihm den Atem, und er sah am hellichten Tag den Himmel voller Sterne.
    Eine Sekunde später balancierte der Wagen in einem beängstigenden Winkel auf zwei Rädern, als das entsetzte Pferd um die nächste Ecke jagte. Von seiner Position aus hatte Paul den sicheren Eindruck, daß sie von der Straße abgekommen waren und frei in der Luft hingen.
    Als alle vier Räder wieder Bodenberührung hatten, robbte Paul auf Händen und Knien nach vorn, um Florimels Vorhaben in die Tat umzusetzen, da es unwahrscheinlich war, daß sie später noch Gelegenheit dazu haben würden. Doch als er den Kopf über die Umrandung hob, sah er die schreckliche Fratze ihres Verfolgers nur noch wenige Meter hinter ihnen. Das Ungetüm sah ihn ebenfalls. Ein Maul voll schmutziger eiserner Fänge klaffte auf, und er blickte in einen tiefen schwarzen Rachen, der mindestens so abschreckend war wie das Loch, aus dem es gekrochen war.
    Paul beschloß, den Teenager doch noch nicht zu erwürgen.
    »Es holt uns ein!« schrie er.
    T4b auf dem Bock beugte sich weiter vor und drosch mit den Zügeln auf den Rücken des Pferdewesens ein, doch das Tier hatte nichts mehr zuzulegen. Der nächste Hubbel schleuderte Paul abermals in die Luft, und einen furchtbaren Moment lang war er sicher, daß er aus dem Wagen in den aufgerissenen Rachen segeln würde. Zum Glück verknäuelte er sich mit Florimel, und gemeinsam rutschten die beiden nach hinten und krachten gegen die Rückwand des Wagens.
    »Halt sie!«

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