Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
ein Kind sein, wenn ich selbst schon ein Kind gehabt habe …?«
     
     
    > Der lange Erinnerungsschub brach urplötzlich ab und war vorbei. Am Boden zerstört, erfüllt von einer heftigen Reue, die fast körperlich weh tat, stürzte Paul aus der wiedergewonnenen Vergangenheit in die dunkle, zersplitterte Gegenwart zurück.
     
    Das erste, was ihm auffiel, als er sich mit klopfendem Herzen hinsetzte, war, daß er immer noch Wasser rauschen hörte, obwohl das Echo von Avas letztem unsinnigen Ausruf völlig verklungen war. Als zweites merkte er einen Sekundenbruchteil später, daß er am Fuß eines gewaltigen, unglaublich großen Baumes auf dem Boden saß.
    »O Gott!« stöhnte er und verbarg das Gesicht in den Händen. Er mußte sich zusammenreißen, um nicht loszuweinen. »O Gott, nicht das wieder!«
    Die Zylinderform mit der rauhen grauen Rinde direkt neben ihm war breit wie ein Bürohochhaus und reckte sich bestimmt mehrere hundert Meter hoch in die Luft, ehe die ersten Äste von dem mächtigen Stamm abgingen. Aber etwas an dem spektakulären Anblick war ungewohnt, und nur die nachhaltige Verwirrung nach seinem Erwachen aus dem Erinnerungstraum war schuld, daß er es nicht gleich erkannt hatte.
    Es gab nicht nur einen gigantischen Baum wie in seiner ersten Halluzination auf dem Schlachtfeld, eine einzige durch die Wolken ragende Wundersäule: Es gab Hunderte, überall um ihn herum.
    Blinzelnd stand er auf, wobei er auf dem lockeren Boden kurz ausglitt.
    Es ist real, dachte er. Es ist alles real – oder wenigstens ist es diesmal kein Traum. Er drehte sich langsam im Kreis und betrachtete die Einzelheiten, die er beim ersten Augenöffnen noch nicht wahrgenommen hatte. Nicht bloß die Bäume waren riesenhaft. Von seinem Standort aus, einem Aufwurf aus Laubmulch und lockerer Erde, erkannte er, daß alles um ihn herum kolossale Ausmaße hatte – selbst die Grashalme, die sich in der Brise bauschten wie schmale grüne Segel, waren zehn Meter hoch. Weiter weg, hinter einer Gruppe sich wiegender Blumen, von denen jede so groß war wie die Fensterrose einer Kathedrale, lag der Ursprung des unablässigen Rauschens, eine grüne Wasserfläche, die weit wie ein Ozean war, aber in einer Weise um baumlange Stöcke und hausgroße Steine wogte, die ihm sagte, daß es sich in Wirklichkeit um einen Fluß handelte.
    Ich bin geschrumpft. Was in aller Welt geht hier vor sich? Er versuchte sich zu konzentrieren und eine gewisse Geistesgegenwart zurückzugewinnen, die ihm in dem Schwall wiederkehrender Erinnerungen verlorengegangen war. Bevor mir der Tag in dem Hexenring wieder einfiel, wo war ich da?
    Auf dem Berggipfel. Mit Renie und Orlando und den übrigen. Und mit Gott – oder dem Andern, oder was immer das für ein Wesen war. Dann ist der Engel gekommen, die andere Ava, und … und was dann? Er schüttelte den Kopf. Wer macht diese Sachen mit mir? Womit habe ich das verdient?
    Er sah sich nach seinen Gefährten um. Vielleicht waren sie ja mit ihm an diesem Ort gelandet. Aber außer dem gewaltigen Fluß bewegte sich nichts, sofern es nicht im Wind wehte. Er war allein zwischen den überdimensionalen Felsen und Bäumen.
    Dies muß die Insektenwelt sein, von der Renie und die andern mir erzählt haben. Plötzlich zog ein runder Stein nur wenige Schritte entfernt seine Aufmerksamkeit auf sich, ein fast kugelförmiger Kiesel ungefähr von seiner Größe, der halb vergraben in dem mulchigen Hang steckte. Beim ersten Umschauen war er ihm nicht weiter bemerkenswert erschienen … aber jetzt entrollte er sich.
    Erschrocken krabbelte Paul ein Stück den rutschigen Hügel hinauf, zurück zum Stamm des Riesenbaumes, doch als er die zutage kommende Gestalt erkannte, eine graubraune Schale mit dicht an dicht sitzenden Segmenten, beruhigte er sich wieder.
    Es ist bloß eine Assel, eine Kugelassel, genauer gesagt – harmlos, unschädlich. Erleichtert, wie er war, fand er es dennoch ein wenig beklemmend, daß ein Wesen, das sonst als erbsengroßes Kügelchen unter einer Topfpflanze klebte, mit einemmal auf seine Größe angeschwollen war. Als sich die entrollte Assel jetzt auf den Bauch wälzte und mit ihren vielen Beinen auf dem unebenen Grund Tritt zu fassen suchte, sah er, daß die Gliedmaßen alle unterschiedlich lang waren und daß viele in plumpen Händen mit verstörend menschenähnlichen Stummelfingern endeten.
    Ein Schauder durchlief ihn, als die Kreatur sich aufrichtete. Schlimmer als die Hände mit Fingern war die Vorderseite des

Weitere Kostenlose Bücher