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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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gesagt, er würde mich eines Tages liebend gern im Gelben Zimmer tanzen lassen.« Sie erschauerte. »Ich weiß nicht einmal, was das ist, aber es hört sich gruselig an. Wissen Sie’s?«
    Paul zuckte beklommen mit den Schultern. »Schwerlich. Aber was ist das für eine Geschichte? Eine Stimme hat mit Ihnen gesprochen? Ihnen gesagt, daß wir uns hier sicher unterhalten können?«
    »Er ist ein einsamer Geist oder sowas – ein kleiner Junge, denke ich, vielleicht ein Ausländer. Er klingt so, sehr ernst, sehr eigenartig. Er hat mir erklärt, er hätte mich beobachtet, und ich täte ihm leid, weil ich immer so allein bin. Er hat gesagt, er möchte mein Freund sein.« Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Es war unheimlich! Es war mehr als nur eine Stimme – es war, als ob er direkt neben mir stünde! Aber trotz der Dunkelheit war es hell genug, um zu sehen, daß niemand im Zimmer war.«
    Paul war mehr denn je überzeugt, daß irgend etwas an der Sache faul war, aber er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er sich verhalten sollte. »Ich weiß, Ava, Sie denken, daß es kein Traum war, aber … aber es muß einer gewesen sein. Ich kann einfach nicht an Geister glauben.«
    »Er hat mich versteckt. Er hat gesagt, ich soll am Abend einen Spaziergang machen, dann zeigt er mir, wie er verhindern kann, daß ich gefunden werde. Und es hat geklappt! Ich bin hier im Wäldchen spazierengegangen, und bald darauf hat es überall im Garten und zwischen den Bäumen von Dienstmädchen gewimmelt. Sogar Finney hat bei der Suche mitgemacht. Er war sehr wütend, als sie mich zuletzt auf einem Stein entdeckten, wo ich saß und nähte. ›Ich mache häufig Spaziergänge am frühen Abend, Herr Finney‹, habe ich zu ihm gesagt. ›Warum regen Sie sich so auf?‹ Er konnte natürlich nicht zugeben, daß die Methoden, mit denen sie mir nachspionieren, versagt hatten, und deshalb hat er so getan, als müßte er dringend mit mir über irgend etwas sprechen, aber das war leicht als Lüge zu durchschauen.«
    »Aber reicht das aus, um …?« begann Paul.
    »Und gestern abend hat mir mein Freund die Zimmer gezeigt, wo Sie wohnen«, fuhr sie eilig fort. »Ich weiß, das ist eine ganz schlimme Verletzung Ihrer Privatsphäre. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Die Zimmer sind überhaupt nicht so schön, wie ich dachte, das muß ich sagen. Und Ihre Möbel sind ganz glatt und schlicht – überhaupt nicht wie die in meinem Haus.«
    »Was meinen Sie mit ›gezeigt‹?«
    »Der Spiegel, durch den mein Vater mit mir spricht, wenn er mal die Zeit dazu findet – er war nie für etwas anderes gut, aber gestern abend hat mein Freund ihn benutzt, um mir damit Sie zu zeigen, lieber Herr Jonas.« Sie warf ihm ein mädchenhaft schelmisches Lächeln zu. »Und zum Glück für mein Schamgefühl und Ihres waren Sie die ganze Zeit über voll bekleidet.«
    »Sie haben mich gesehen?« Paul war schockiert. Sie hatte durch Zufall herausgefunden, wie man über den nur zum Empfang bestimmten Wandbildschirm in ihrem Arbeitszimmer in die allgemeine Hausüberwachung hineinkam.
    »Sie waren gerade dabei, etwas an der Wand zu betrachten, auch so ein bewegtes Bild. Tiere waren darin. Sie hatten einen grauen Bademantel an und haben etwas getrunken, aus einem Glas – Wein vielleicht?«
    Paul erinnerte sich dunkel, daß er irgendeine Naturdoku laufen gehabt hatte. Die anderen Angaben stimmten auch. Seine Befürchtungen nahmen ungeahnte, erschreckende Ausmaße an. Hatte jemand das Haussystem gehäckt? Konnte es die umständliche Vorbereitung eines Entführungsversuchs sein? »Dieser … dieser Freund … Hat er Ihnen seinen Namen gesagt? Hat er Ihnen gesagt, was … was er will?«
    »Er hat mir keinen Namen gesagt. Ich bin mir nicht sicher, daß er seinen Namen weiß, falls er überhaupt einen hat.« Ihr Gesicht wurde ernst. »Er ist so einsam … Paul. D-du kannst dir nicht vorstellen, wie einsam er ist.«
    Es entging ihm nicht, daß sie ihn plötzlich duzte und beim Vornamen nannte, daß eine Schwelle zwischen ihnen überschritten worden war, aber das war im Augenblick seine geringste Sorge. Er beschloß, sich darauf einzulassen. »Das gefällt mir gar nicht, Ava.« Da kam ihm ein neuer Gedanke. »Du sprichst so mit deinem Vater? Im Spiegel?«
    Sie nickte langsam, die Augen jetzt auf die sacht schwankenden Äste hoch über ihnen gerichtet. »Er ist so beschäftigt. Er sagt immer, er würde mich gern besuchen kommen, aber er hat einfach so viele Pflichten, die ihn in Anspruch

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