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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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er nicht mehr da. Aber es wird besser mit der Zeit.«
    »Das wird nie besser. Nie.« Sam bückte sich und berührte Orlandos steinerne Wange. »Aber er ist tot, nicht wahr? Richtig, richtig tot.«
    Renie tat sich fast genauso schwer wie Sam mit der Vorstellung, einen Körper zurückzulassen, der noch so lebensvoll aussah. Auch andere Merkwürdigkeiten gaben ihr zu denken. Im Unterschied zu allen anderen Sims von gestorbenen Trägern, die sie gesehen hatte, waren Orlandos Kleidungsstücke trotz der marmorartigen Starre des Körpers darunter weich und schmiegsam geblieben. Eine Zeitlang hatte Renie deswegen sogar überlegt, ob er nicht doch noch am Leben war, ob ihn nicht einfach sein tiefes Koma im RL schließlich auch in der virtuellen Welt eingeholt hatte. Aber etliche heimliche Experimente – vorgenommen in Augenblicken, in denen Sam von irgend etwas abgelenkt gewesen war, um ja keine Hoffnungen in ihr zu schüren – hatten sie so fest, wie es unter den Umständen möglich war, überzeugt, daß in dieser versteinerten Form keinerlei Lebensfunke mehr glomm.
    Orlandos letztes Geschenk an sie hatte es den beiden Frauen ermöglicht, sich notdürftig zu bedecken, so daß Renie sich jetzt in der Gegenwart des kaltäugigen Jongleur und des trotteligen Klement nicht mehr ganz so schutzlos fühlte. Als sie Orlandos steifen Sim umgedreht hatten, um ihm seinen zerschlissenen Chiton auszuziehen, hatten sie sogar sein abgebrochenes Schwert gefunden, aus dessen Griff noch ein kurzes Stück Klinge ragte – eine willkommene Hilfe dabei, sich aus dem schmutzigen weißen Stoff Lendenschurze und plumpe Bandeaux-Tops zu schneiden.
    Das kaputte Schwert war die einzige Waffe, die den Überlebenden auf dem Berg geblieben war, vielleicht die einzige Waffe in dieser ganzen Simwelt, und somit ein außerordentlich wertvolles Gerät, das auf keinen Fall zurückbleiben durfte. Am liebsten hätte Renie es selbst an sich genommen, weil sie sich am ehesten die Wachsamkeit zutraute, es vor dem Zugriff Jongleurs zu bewahren, aber Sam war so ergreifend dankbar gewesen, ein Andenken an Orlando zu haben, daß Renie nicht das Herz gehabt hatte, große Einwände zu erheben, und so hatte Sam es sich durch den Bund ihres Lendenschurzes gesteckt. Da von der Klinge kaum mehr als eine Handbreit übrig war, taugte es nur sehr beschränkt als Waffe, auch wenn es Renie bei ihrem Ringkampf mit Sam eine häßliche Schramme am Bein beigebracht hatte. Dennoch mußte sie zugeben, daß das zerbrochene Schwert unter derart elenden Bedingungen wie eine mythische Wunderwaffe aussah.
    Renie schüttelte ärgerlich den Kopf über ihre mystischen Anwandlungen. Unverweslicher Körper hin oder her, ihr Freund war auf jeden Fall tot. Orlandos Schwert mochte einst eine imaginäre Spielwelt in Angst und Schrecken versetzt haben, jetzt jedoch würde es herhalten müssen, um damit zu graben oder Holz zu sägen … falls sie je welches fanden. Und was den wundersamen Stoff anbelangte, so waren daraus zwei primitive Bikinis wie aus einem schlechten Urzeitfilm geworden. ( !Xabbu hatte von dem bißchen Stoff nichts haben wollen, um sich seinerseits zu verhüllen, und als Renie Jongleur ein Stück angeboten hatte, mehr aus Rücksicht auf ihre und Sams Schamhaftigkeit als aus Freundlichkeit, hatte er nur gelacht.)
    Dann gehen wir eben in diesem Aufzug den Berg runter, dachte sie bei sich. Drei nackte Männer und zwei Frauen, die aussehen, wie einer Werbung für Neandertalerdessous entsprungen. Und allem Anschein nach sind wir die einzigen, die in diesem ganzen virtuellen Universum noch am Leben sind … mit Ausnahme von Dread. O ja, wir sind wirklich eine tolle Truppe …
    !Xabbu nahm die neuen Steine, die sie gesammelt hatten, in Empfang, aber er war mit den Gedanken deutlich woanders. Bevor sie nachfragte, vergewisserte Renie sich, daß Jongleur außer Hörweite war. Der Vorsitzende der Gralsbruderschaft stand ein Stück entfernt am Rand des Steilhangs und starrte auf den unwirklich tiefenlosen Himmel. Renie mußte unwillkürlich daran denken, wie es wohl wäre, ihn in den Abgrund zu stoßen.
    »Du siehst sorgenvoll aus«, sagte sie zu !Xabbu , während er die Mauer um Orlandos Körper befestigte. »Übrigens, wie hast du dir eigentlich die Abdeckung vorgestellt?«
    »Ich sorge mich, weil ich nicht glaube, daß uns dafür noch die Zeit bleibt. Ich glaube, wir müssen Orlandos Grab lassen, wie es ist, und bald den Abstieg in Angriff nehmen. Es tut mir leid – ich hätte es gern

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