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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Paul nicht anders, als ihrer Aufforderung zu folgen. Ava war sichtlich erleichtert.
    »Gut. Vielen Dank.«
    »Dann sagen Sie mir jetzt, was los ist!«
    Sie zupfte an einer Löwenzahnblüte. »Ich weiß, daß mein Vater mich überwacht. Daß er mich auch dann sehen kann, wenn ich es gar nicht merke.« Sie sah zu ihm auf. »Das geht schon mein ganzes Leben so. Und die Welt, von der ich in Büchern lese – wenn es nach ihm geht, werde ich sie nie zu Gesicht bekommen, das weiß ich.«
    Paul wand sich innerlich. Erst vor kurzem hatte es ihm zu dämmern begonnen, daß er selbst eher ein Gefängniswärter als ein Lehrer war.
    »In den Harems des Orients haben die Frauen sich wenigstens gegenseitig zur Gesellschaft«, fuhr sie fort. »Aber wen habe ich? Einen Hauslehrer – wobei ich Sie sehr gern habe, Herr Jonas, und meine andern Hauslehrer und Kindermädchen waren auch sehr nett. Ansonsten habe ich nur einen Leibarzt, einen furchtbar vertrockneten und unangenehmen Alten, und Dienstmädchen, die beinahe zu verschreckt sind, um auch nur ein Wort mit mir zu wechseln. Und noch diese abscheulichen Kerle, die für meinen Vater arbeiten.«
    Pauls Unbehagen wuchs wieder. Was würde Finney oder der bullige Mudd davon halten, daß er hier saß und zuhörte, wie Jongleurs Tochter solche Reden führte? »Tatsache ist«, sagte er so ruhig, wie er konnte, »Sie werden beobachtet, Ava. Sie werden belauscht. Und zwar in diesem Moment…«
    »Eben nicht.« Ihr Lächeln war schnippisch. »Jetzt nicht. Weil ich endlich einen Freund habe – einen Freund, der viel kann.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Sie werden mich für verrückt halten«, sagte sie, »aber es stimmt. Es stimmt alles!«
    »Nämlich was?«
    »Das mit meinem Freund.« Plötzlich verstummte sie und wich seinem Blick aus.
    Als sie ihn wieder ansah, hatte sie ein eigentümliches Glühen in den Augen. »Er ist ein Geist.«
    »Ein was? Ava, das ist nicht möglich!«
    Tranen erschienen. »Ich hätte gedacht, daß wenigstens Sie mich fertig anhören.« Sie wandte sich ab.
    »Tut mir leid, Ava.« Er legte ihr sacht die Hand auf die Schulter, nur Zentimeter von ihrem glatten, weichen Hals und den widerspenstigen dunklen Locken entfernt, die sich den Nadeln entwunden hatten. Das Plätschern des Baches war auf einmal recht laut. Er zog hastig die Hand zurück. »Bitte sagen Sie mir, was los ist. Ich kann leider nicht versprechen, daß ich an Geister glauben werde, aber erzählen Sie’s mir trotzdem, ja?«
    Mit weiter abgewandtem Gesicht und ganz leiser Stimme sagte sie: »Ich habe es selbst nicht geglaubt. Am Anfang. Ich dachte, es wäre eine von Nickelblechs kleinen Gemeinheiten.«
    »Nickelblech?«
    »Finney. Das ist mein Spitzname für ihn. Wegen der Brille, der Art, wie die Gläser funkeln – und haben Sie mal hingehört, wenn er geht? Er hat irgendwas aus Metall in den Taschen. Er klimpert damit.« Sie zog ein finsteres Gesicht. »Den Dicken nenne ich Wabbelsack. Sie sind widerlich, alle beide. Ich hasse sie.«
    Paul schloß die Augen. Falls es ein Irrtum war, daß sie nicht belauscht werden konnten – und das mußte es sein, wenn sie sich einbildete, von einem Geist beschützt zu werden –, dann würde er sich diese Unterhaltung demnächst noch einmal anhören dürfen, wahrscheinlich wenn er seine fristlose Kündigung mitgeteilt bekam.
    Ob ich wohl eine Abfindung bekommen werde …?
    »Die Stimme hat mir ins Ohr geflüstert«, sagte Ava gerade. »In der Nacht, als ich im Bett lag. Wie gesagt, ich dachte, es wäre eine von den Gemeinheiten der beiden, und habe nicht reagiert. Nicht gleich.«
    »Sie haben im Schlaf eine Stimme gehört…?«
    »Es war kein Traum, Herr Jonas. Lieber Paul.« Sie lächelte schüchtern. »So dumm bin ich nicht. Sie hat sehr leise mit mir geredet, aber ich war wach. Ich habe mich gezwickt, um ganz sicher zu sein!« Sie hielt ihm ihren blassen Unterarm hin und zeigte ihm die Stelle. »Aber ich dachte, es wäre irgendwas Gemeines. Die Angestellten meines Vaters sagen ständig fiese Sachen zu mir. Wenn er das wüßte, würde er sie bestimmt entlassen, nicht wahr?« Sie klang beinahe flehend. »Ich habe es ihm nie erzählt, weil ich Angst habe, er glaubt mir nicht und denkt, ich hätte bloß eine böse Mädchenzunge. Dann würden die beiden es mir noch schwerer machen, vielleicht Sie entlassen und mir irgendeine gräßliche alte Frau oder einen barschen alten Mann als Hauslehrer vorsetzen, wer weiß?« Sie runzelte die Stim. »Der Dicke, Mudd, hat mir mal

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