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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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einer hohen, quengeligen Stimme: »Wer da?«
    Mein Gott, dachte Renie. Noch mehr Kinder. Gibt es denn nur Kinder hier?
    »Wir sind Freunde«, verkündete das Steinmädchen. »Wir tun euch nichts.«
    Die um das Feuer versammelten Gestalten beobachteten mißtrauisch, wie sie nähertraten. Renie vermerkte zunächst mit stiller Befriedigung, daß die Zwerge exakt sieben an der Zahl waren, doch als sie gleich darauf ihr Äußeres genauer sah, wurde ihr ein wenig unbehaglich. Sie entsprachen wohl der Vorstellung, die sich jemand von Zwergen machen konnte, aber wie bei so vielen Dingen, die sie in letzter Zeit gesehen hatte, war das eine sehr eigenartige Vorstellung.
    Die kleinen Männchen hatten alle Zwergengröße – das vorderste, der Wachposten mit dem Stock, ging ihr gerade bis an die Hüften –, doch obgleich der Andere, wenn er denn tatsächlich der Schöpfer war, anscheinend verstanden hatte, daß »Zwerg« gleichbedeutend mit »klein« war, hatte er zur Umsetzung der Idee nicht normale menschliche Gestalten verkleinert, sondern statt dessen Teile weggelassen oder zusammengeschoben. Die Gesichter wuchsen den Zwergen direkt aus der Brust, und als Renie den tapsigen Gang des Wachpostens, der neben ihnen herwatschelte, genauer betrachtete, stellte sie fest, daß seine Beine an den Knien endeten: Sie hatten kein Gelenk in der Mitte, so daß der kleine Kerl ein wenig wie ein Pinguin ging. Seine Arme jedoch waren normal lang; er stützte sich damit ab, indem er die Knöchel aufsetzte wie ein Schimpanse.
    Renie zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl der Anblick sie unangenehm an die grotesk zusammengeflickten Kreaturen in der Kansas-Simulation erinnerte – nicht nur Grausamkeit schuf Monster, wie es schien. Als Renie und ihre Freundin am Feuer eintrafen, erhoben sich die kleinen Gestalten und begrüßten sie mit unbeholfenen Verbeugungen. Der größte, dessen Schultern so hoch waren wie Renies Taille, fragte: »Sucht ihr auch?«
    »Nein«, erwiderte das Steinmädchen. »Wir gehen bloß. Wollt ihr auch zum Brunnen?«
    »Bald. Aber erst müssen wir finden, was wir verloren haben. Und wir haben alles verloren, sogar unser Häuschen.«
    Einer der anderen Zwerge blickte Renie direkt in die Augen. »Und Schneewischen«, fügte er kummervoll hinzu.
    »Äh … aha«, sagte sie und fragte sich, was so schlimm daran war, wenn er keinen Schnee mehr wischen konnte. Dann ging ihr plötzlich auf, wer damit gemeint.
    »Schneewischen ist fort!« jammerte der Anführer und riß dabei von einer freien Rippe zur anderen den Mund auf. »Und auch die sieben Berge, die Wiesen, unsere schönen Gruben! Fort!«
    »Das Auslöschen ha-ha-hat alles w-weggenommen«, sagte der neben Renie und unterdrückte ein Schluchzen. »Als wir von der Arbeit nach Hause kamen, war unser Häuschen weg – und Schneewischen! Und auch unsere Stühlchen und Tellerchen und Brötchen und Gemüschen und Gäbelchen und Messerchen und Becherlein und Bettchen – alle weg!« Die anderen Zwerge untermalten sein Leid mit einem wortlosen Seufzerchor.
    »Die Stiefmütter sind gekommen und haben uns gesagt, wir müssen weglaufen«, erklärte der Anführer. »Die Leute, denen wir hier im Wald begegnen, sagen alle, wir müssen zum Brunnen gehen. Aber erst müssen wir Schneewischen finden! Es kann doch sein, daß es entkommen ist!«
    »Ohne Schneewischen sind wir gar keine richtigen Zwerge«, verkündete ein anderer düster. Ein tiefes, schwermütiges Schweigen legte sich auf die Schar.
    »Dann … dann habt ihr also auch Stiefmütter?« erkundigte Renie sich schließlich, wobei sie sich auf einem Baumstamm neben dem Feuer niederließ und sich alle Mühe gab, nicht auf die verunstalteten Leiber zu glotzen. Die Zwerge neben ihr rutschten und machten Platz. Sie mußte sich nachhaltig daran erinnern, daß diese Ereignisse, auch wenn sie ihr nur absurd vorkamen, für die Betroffenen genauso schrecklich waren wie für Flüchtlinge in der wirklichen Welt.
    Der schüchtern blickende Knirps neben ihr, dessen Gesicht so tief auf dem Bauch saß, daß sein Gürtel ihn zu erwürgen schien, hielt ihr einen dampfenden Napf hin. »Steinsuppe«, sagte er einladend. »Schmeckt gut.«
    Renies Begleiterin bekam eine besorgte Miene. »Ihr eßt… Steine?«
    Der Anführer machte eine begütigende Handbewegung. »Wir würden dir nie etwas tun, Kind, wir essen nur leblose Minerale. Außerdem, wenn du mir die Bemerkung gestattest, scheinst du hauptsächlich aus Sediment zu bestehen. Das ist nicht nach

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