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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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unserm Geschmack, entschuldige bitte.«
    »Keine Ursache«, erwiderte das kleine Mädchen erleichtert.
    »Die Leute, die hier in … an diesen Orten leben, haben sie alle Stiefmütter?« fragte Renie noch einmal.
    Die Zwerge konnten ihre Köpfe nicht schief legen, da sie keine hatten, aber sie verkrümmten sich zu Haltungen, die Verwunderung anzeigten. »Natürlich«, sagte der Wortführer. »Woher sollten wir sonst wissen, wann Gefahr droht? Wer sollte uns behüten, wenn wir schlafen?« Er ließ seine Unterlippe fast bis zum Schritt herunterhängen. »Aber das Auslöschen können sie nicht aufhalten.«
    Die Stiefmütter sind also ein Teil des Betriebssystems, entschied Renie. Eine Art Kontrollprogramm, vielleicht eines von der strengen Art, ähnlich den bösen Stiefmüttern in den Märchen. Aber woher stammen diese Monster, diese Tecks und Schnöre? Sie überlegte, ob sie einen Namen kannte, in dem »Teck« oder etwas ähnlich Klingendes vorkam, aber außer »Daumesdick« wollte ihr nichts einfallen, und das war eigentlich nicht besonders ähnlich.
    »Wo seid ihr her?« fragte einer der Zwerge Renie. Sie blickte ratlos das Steinmädchen an.
    »Aus dem Hansischen Bohnengarten«, antwortete das kleine Mädchen. »Aber wir sind zum Wutschbaum gegangen, und der hat uns gesagt, wir müßten schleunigst zum Brunnen.«
    Mir hat er das nicht gesagt, grummelte Renie im stillen. Ich hab so gut wie gar nichts von ihm erfahren. Ein plötzlicher Einfall bewegte sie zu der Frage: »Habt ihr irgendwelche andern gesehen, die so ähnlich aussehen wie ich? Einen braunhäutigen Mann und ein Mädchen mit etwas hellerer Haut?«
    Die Zwerge verneinten mit einem traurigen Achselzucken. »Aber der Wald ist voll von Leuten, die auf der Flucht sind«, meinte einer. »Vielleicht ist deine Familie ja dabei.«
    Der Gedanke verschlug Renie im ersten Moment die Sprache. !Xabbu und Sam Fredericks ihre Familie. Da war etwas dran, mehr als die gemeinsame Hautfarbe. Wenige Menschen hatten mit ihrer richtigen Familie größere Gefahren und Nöte bestanden, und ganz bestimmt keine, die von A bis Z derart unbegreiflich waren.
    Das Gespräch versiegte rasch. Die Zwerge gaben sich größte Mühe, gute Gastgeber zu sein, aber sie waren mit den Gedanken deutlich woanders, und Renie und das Steinmädchen waren hundemüde. Sie rollten sich zum Schlafen auf dem Boden zusammen, während die Zwerge sich mit leisen, kummervollen Stimmen weiter unterhielten. Obwohl ihm die Kälte bisher viel weniger ausgemacht hatte als Renie, schmiegte sich das Steinmädchen jetzt dicht an ihren Körper und war nach wenigen Sekunden eingeschlafen, so tief, daß Renie überhaupt keine Atmung mehr feststellen konnte. Sie schlang die Arme um die kompakte kleine Gestalt und beobachtete, wie der Feuerschein über ihr in den Wipfeln spielte. Sie irrte durch eine abstruse, kindliche Traumwelt, eine massiv bedrohte Traumwelt. Sie hatte alle und alles verloren. Von den ganzen Leuten, die Sellars’ Ruf gefolgt waren, war sie als einzige noch übrig. Selbst das Betriebssystem, der Gott dieser kleinen Welt, hatte sich geschlagen gegeben. Was konnte sie da tun?
    Ich kann dieses Kind halten, dachte sie. Und wenn es nur die eine Nacht ist, kann ich ihm ein bißchen Wärme geben, ein Gefühl der Sicherheit – und sei es bloß eine Illusion.
    Und während die mächtige Scheibe des Mondes auf den Horizont zukroch und Renie in den dringend benötigten Schlaf sank, tat sie genau das.
     
    Als sie aufwachte, lag ein diffuser Schimmer über der Welt, ein tristes graues Licht, das nicht dazu angetan war, sie hoffnungsvoller zu stimmen. Die Zwerge waren fort und hatten nur die Glut ihres Feuers zurückgelassen. Das Steinmädchen war bereits wach, kauerte neben dem verlöschenden Feuer und stocherte mit einem Stock in der Asche.
    Renie gähnte und streckte sich. In diesem kläglichen Morgengrauen war es gut, eine Decke zum Einmummeln und jemanden zum Reden zu haben. Sie lächelte das kleine Mädchen an. »Mir kommt’s vor, als ob ich lange geschlafen hätte, aber das stimmt wahrscheinlich gar nicht. Sag mal, wenn’s hier einen Mond gibt, warum gibt es dann keine Sonne?«
    Das Steinmädchen warf ihr einen befremdeten Blick zu. »Sonne?«
    »Schon gut. Wie ich sehe, sind unsere Freunde fort.«
    »Schon lange.«
    »Warum haben sie nicht gewartet, bis die Sonne … äh, bis zum Morgen?«
    »Haben sie. So war’s schon, bevor sie los sind.« Erst jetzt fiel Renie auf, daß ihre Begleiterin Angst hatte.

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