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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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her«, sagte Renie. »Es tut mir leid. Ich hätte nicht so schreien sollen. Komm bitte wieder her.«
    »Du hast den Wutschbaum weggemacht«, sagte das kleine Mädchen aus Erde. »Das hat’s noch nie gegeben.«
    Renie seufzte. »Was hat er dir verraten? Darf ich das erfahren? Ich hab was vom Auslöschen gehört, und irgendwelche Verse von einer goldenen Brücke …«
    Das Steinmädchen sah sie skeptisch an. »Du hast gesagt, der Baum hätte deinen Bruder entführt.«
    »Das … das ist schwer zu erklären. Aber nicht der Baum, nein.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Es war unwahrscheinlich, aber fragen konnte ja nichts schaden. »Kennst du jemanden, der Stephen heißt? Einen kleinen Jungen …?«
    »Stephen?« Die Kleine kicherte. »Was für ein komischer Name.«
    »Ich nehme an, das heißt nein«, sagte Renie. »Liebe Güte, was hab ich getan? Was für ein Irrsinn ist das hier bloß?« Sie ließ die Schultern hängen und spürte seit längerem zum erstenmal wieder, daß es kalt wurde im Wald. »Was hat der Wutschbaum dir sonst noch erzählt?«
    Ihre Führerin wurde wieder ernst. »Daß es schlecht steht. Daß das Auslöschen immer näher und näher kommen wird, bis man nirgends mehr hinkann. Daß ich zusammen mit allen andern zum Brunnen kommen soll, weil der noch bis zuletzt übrigbleibt.«
    »Zum Brunnen? Was ist das?«
    Das Steinmädchen legte seine erdige Stirn in Falten. »Das ist so ein Platz wie hier, bloß viel größer, über den Fluß und über den Fluß und über den Fluß. Wo die gute Frau manchmal hinkommt und mit uns allen spricht.«
    »Die gute Frau?« Renie prickelte es im Nacken – sie wußte, wer das sein mußte. »Sie kommt zu diesem Brunnen und … was dann?«
    »Erzählt sie den Leuten, was der Eine denkt.« Das Steinmädchen schüttelte den Kopf. »Aber jetzt kommt sie nicht mehr. Seit das Auslöschen losgegangen ist.« Es stand auf. »Ich muß los. Der Wutschbaum hat gesagt, ich muß zum Brunnen, da geh ich mal lieber.« Es zögerte. »Willst du nicht mitkommen?«
    »Ich kann nicht, ich muß auf meine Freunde warten.« Renie fühlte, wie ihr alles entglitt. »Aber ich weiß nicht mal, wo ich bin. Wie komme ich dorthin zurück, wo ich war, bevor wir uns getroffen haben?«
    Das Steinmädchen legte den Kopf ein wenig schief. »Wo bist du denn hergekommen?«
    Renie bemühte sich nach Kräften, ihr zu beschreiben, was sie von dem welligen Wiesenland, den fernen Bergen, ihrer Durchsichtigkeit noch in Erinnerung hatte. Im Rückblick kam ihr alles wie ein blasser Traum vor.
    »Du mußt im Städtelelenaus gewesen sein«, meinte das kleine Mädchen. »Aber das ist wahrscheinlich inzwischen ganz weg. Als ich nach dem Wutschbaum gesucht hab, war das Auslöschen schon da. Deshalb war’s zum Teil auch ganz leer, wie du sagst.«
    Und sie war sich so sicher gewesen, daß sie endlich einen Ort gefunden hatte, der Gestalt annahm! Große Angst um !Xabbu und Sam durchzuckte Renie. Wenn sie nun nicht das Glück gehabt hatten, auf einen Übergang zu stoßen wie sie? Sie mußte sie unbedingt finden.
    Ja, aber wie? Soll ich allein von einem Phantasieort zum andern rennen, während sich ringsherum alles auflöst? Was soll mir das nützen?
    Aber was war die Alternative? Einer Märchenfigur wie diesem Steinmädchen noch tiefer in den Irrsinn hinein folgen?
    Ich hätte mich nicht so gehenlassen dürfen. Warum hab ich nicht ein einziges Mal den Mund halten können? Vielleicht hätte ich ein paar brauchbare Informationen aus dem Ding herausgeholt, wenn ich freundlicher gewesen wäre. Sie hätte sich daran erinnern sollen, was die Erfahrung mit Stephen sie gelehrt hatte – daß Schreien und Schimpfen ihn nur noch verstockter machte. Das Betriebssystem glich so sehr einem Kind, und was hatte sie getan? Sie hatte sich ihm gegenüber wie eine zornige Mutter aufgeführt. Und keine besonders kluge zornige Mutter.
    »Wie war das? Was hat dir das … der Baum erzählt? Du sollst zu diesem Brunnen gehen, und alle andern gehen auch dorthin?«
    Das Steinmädchen, das noch am Rand der Lichtung stand, nickte.
    Und wenn Stephen nun wirklich hier ist? dachte Renie. Wenn er einer von denen ist, die von diesem Brunnen angezogen werden oder zu ihm hinbestellt sind? Wenn ich ihn zu guter Letzt doch noch finden könnte, ihn … erreichen?
    Genau das war die Frage. Renie war erschöpft, aber sie mußte sich entscheiden, hier und jetzt. Das kleine Mädchen würde gehen, mit ihr oder ohne sie. Sollte sie !Xabbu und die anderen im Stich lassen

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