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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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oder diese Gelegenheit, Stephen zu finden, in den Wind schlagen?
    Jahrelang studiert, und wofür? Wie soll man eine solche Entscheidung treffen – keine Fakten, keine erkennbare Logik, keine richtigen Informationen …? Es war qualvoll, an !Xabbu zu denken, der bestimmt genauso fieberhaft nach ihr suchte wie sie nach ihm. Nicht weniger qualvoll war der Gedanke an Stephen, ihren wunderbaren, strahlenden kleinen Mann, der fast wie ihr eigenes Kind war und der jetzt verkrümmt in einem Krankenhausbett lag, ein Bündel Haut und Knochen, wie ein kaputter, weggeworfener Drachen. Sie fühlte sich innerlich roh und wund, ohnmächtig, trostlos.
    Und dabei bin ich hier im Netzwerk letztlich nichts weiter als ein lebendes Gehirn. Ein Gehirn, dem das Leid bald das Herz bricht, sozusagen …
    Das Steinmädchen scharrte mit dem Fuß am Boden, wippte ein wenig hin und her. Es war sichtlich schwer, ja bedrückend für die Kleine, noch zu warten, nachdem der Wutschbaum ihr deutlich gesagt hatte, was sie tun sollte. »Ich muß jetzt wirklich …«
    »Ich weiß«, sagte Renie. Sie atmete tief ein. »Ich komme mit. Ja, ich komme mit dir.«
     
    Ich habe keine Wahl, sagte sie sich immer wieder, aber sie kam sich wie eine Verräterin vor. !Xabbu und die andern sind vielleicht überhaupt nicht aus diesem grauen Irgendwas rausgekommen. Möglicherweise sind sie in einen andern Teil des Netzwerks befördert worden, oder es könnte sogar sein … Schon der Gedanke war zuviel. Ich könnte ewig nach ihnen suchen. Und gleichzeitig könnte dies meine letzte Chance sein, Stephen zu helfen.
    Natürlich immer unter der Voraussetzung, daß ich überhaupt etwas für ihn tun kann, falls ich ihn finde, dachte sie bitter. Wenn man bedenkt, daß ich nicht mal selber offline gehen kann, ist das eine verdammt kühne Voraussetzung.
    »Bist du mir böse?« fragte das Steinmädchen.
    »Was?« Renie merkte, daß sie lange vollkommen wortlos dahingegangen waren. Ihr kam plötzlich die Erinnerung, wie es war, mit einem verärgerten Erwachsenen zusammenzusein und zu meinen, man selbst wäre die Ursache des Ärgers, und sie schämte sich. Schon in der Zeit vor dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater gelegentlich die Tendenz gehabt, mürrisch vor sich hinzuschweigen. »Nein! Nein, ich war bloß in Gedanken versunken.« Sie betrachtete die glitzernden Bäume, von denen sie immer noch umgeben waren, die endlose Abfolge von belaubten Tunneln durch den Wald. »Wo sind wir überhaupt? Ich meine, hat dieser Ort einen Namen? Heißt er Wutschbaum oder so?«
    »Der Wutschbaum ist kein Ort, er ist ein Baum.« Das Steinmädchen war sichtlich erleichtert; selbst Renies nicht auszurottende Unwissenheit zog nicht den üblichen ungläubigen Blick nach sich. »Es gibt viele Orte, wo er sein kann – deshalb mußten wir ihn ja suchen gehen.«
    »Und wir haben ihn … wo gefunden?«
    »Hier. Ich hab’s dir doch gesagt, er ist immer im Wald.«
    »Und wo gehen wir jetzt hin?«
    Das Steinmädchen überlegte einen Moment. »Weiß ich nicht genau. Aber ich glaube, wir müssen durch Holla Buschuschusch und vielleicht noch über die Pong Dawinong. Das wird schwer, wenn wir da rübermüssen.«
    »Rüber…?«
    »Über den Fluß natürlich.« Renies Gefährtin runzelte die Stirn. »Ich hoffe bloß, wir müssen nicht durchs Häckselhaus. Das ist mir zu unheimlich.«
    Holla Buschuschusch und Häckselhaus. Das mußten … der Holderbusch aus dem Ringelreihelied und das Hexenhaus von Hänsel und Gretel sein, vermutete Renie. So langsam bekam sie den Bogen raus. »Was ist daran so unheimlich?«
    Das Steinmädchen legte die Hand auf den Mund. »Da will ich nicht drüber reden. Da gehen wir bestimmt nicht hin. Tecks und Schnöre hat’s da, massenweise.«
    Tecks und Schnöre. Irgend etwas klang bei den Namen an, doch während die Ortsnamen offenbar kindliche Verballhornungen von Dingen aus Liedern und Märchen waren, zum Beispiel von der Brücke von Avignon, bot sich für diese anderen keine naheliegende Erklärung an. Aber wenn es im Häckselhaus Schnöre gab, war sie nach ihrer Begegnung mit den Ungeheuern genauso dafür, es zu meiden, wie ihre Gefährtin.
    »Was sind Tecks? Sind sie so schlimm wie Schnöre?«
    »Schlimmer!« Das kleine Mädchen erschauerte theatralisch. »Sie sind ganz glotzig. Sie haben zu viele Augen.«
    »Uäh. Bin schon überzeugt. Gut, wenn wir demnach einen weiten Weg vor uns haben, sollten wir da nicht lieber Rast machen und etwas schlafen? Ich bin müde, und du, wenn ich

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