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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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etwas Bewegung in die Menge, aber nur kurz. Der Hirsch und der Hummelmann schauten sich nach ihr um, dann nahmen sie wieder ihr Gespräch mit dem Steinmädchen auf.
    »Es ist schon lange niemand mehr über den Weißen Ozean gekommen«, erklärte die Igelmutter. »Schon bevor das Auslöschen angefangen hat.«
    »Ist doch egal«, meldete sich ein fischgesichtiger Mann. »Wen interessiert das schon?«
    »Mich interessiert das …«, begann Renie, doch sie wurde von einem kleinen Jungen unterbrochen, der eine Nase so lang wie ein Finger hatte.
    »Hat doch Neue geben«, piepte er. »Stiefmutter hat’s mir gesagt.«
    »Was für Neue?« fragte Renie. »Wie sahen sie aus?«
    »Weiß nicht.« Er steckte einen langen Finger in seine fingerlange Nase und bohrte andächtig. »Sie hat bloß gesagt, es wären Fremde, und Fremde wären gefährlich, und deshalb würde uns das Auslöschen unser Hüttlein wegnehmen.«
    »Wo war das? Hier im Wald?«
    Der Junge schüttelte den Kopf. »In Wichtelhausen, wo unser Hüttlein ist.« Sein Finger hielt inne. Sein Gesicht wurde traurig, als ihm die Größe des Verlusts wieder bewußt wurde. »War.«
    »Und wo ist das? Sind sie da noch?«
    Ein anderes Kind, das die rotbraunen Ohren eines Fuchses hatte, gab einen schrillen Ton der Geringschätzung von sich. »Von wegen! Die Stiefmütter ham sie weggejagt.«
    Der mit der Fingernase nickte. »Hamster Krumpf hat helfen müssen, weil Igel Pieks krank ist.«
    »Renie!« Das Steinmädchen winkte ihr. »Wir müssen gehen.«
    Während sie die Flüchtlinge aus Wichtelhausen hinter sich zurückließen, war Renie ein wenig hoffnungsvoller gestimmt. Es gab also doch Neue – jemand hatte sie gesehen. Das mußten !Xabbu und Sam sein. Wenn es nicht Martine und die anderen waren … Da Paul, Martine und die übrigen Gefährten nach der Katastrophe nicht mehr auf dem Gipfel des schwarzen Berges gewesen waren, hatte Renie angenommen, daß sie irgendwo anders hinbefördert worden waren – aber wer konnte schon sagen, ob diese Kindermärchenwelt nicht das Irgendwo Anders war? Und wenn alle zu diesem sogenannten Brunnen hingezogen wurden, würden sie sich bestimmt wiederfinden.
    Als der graue Tag nach Renies Zeitempfinden die Mitte überschritten haben mußte, fanden sie schließlich den Fluß und stapften nun auf dem morastigen Boden daneben her. Über das Gurgeln des dunklen Wassers versank Renie in ein träumerisches Einen-Fuß-vor-den-anderen-Setzen. Seltsamerweise trafen sie nach den vielen Fliehenden im Wald jetzt am Fluß nur noch wenige, und diese wenigen eilten zum Teil in die entgegengesetzte Richtung. Alle hatten verzweifelte Mienen. Keiner sprach sie an.
    So langsam begann Renie auch an ihrer Begleiterin zu zweifeln. Nachdem das Steinmädchen vorher so forsch ausgeschritten war, daß Renie sich oft hatte sputen müssen, um mitzukommen, wirkte es jetzt zunehmend müde und durcheinander. Mehrmals blieb es stehen und blickte über den Fluß hinaus, als ob es nach etwas Ausschau hielte, obwohl Renie dort nur unbelebten Wald sah.
    Als das Zwielicht des Tages gerade einen dunkleren Ton anzunehmen begann, ließ sich das Steinmädchen zuletzt auf einen gestürzten Baum plumpsen. Seine kleinen Schultern hingen herab, sein Erdgesicht blickte verzagt.
    »Ich kann die Brücken nicht finden«, sagte es. »Wir müßten mittlerweile längst auf eine gestoßen sein.«
    »Was für Brücken?«
    »Die Stellen, wo man den Fluß überquert. Das ist die einzige Möglichkeit, aus dem Wald herauszukommen, wenn wir uns nicht den ganzen Weg zurück zum andern Fluß machen wollen.« Es schniefte leise. »Dann könnten wir in den Hansischen Bohnengarten zurückgehen. Falls er noch da ist.«
    »Zum andern Fluß? Es gibt einen andern Fluß?«
    »Es gibt immer einen andern Fluß«, erklärte das Steinmädchen trübselig. »Wenigstens war das früher so. Vielleicht ist der ja jetzt auch weg.«
    Durch vorsichtiges Fragen wurde Renie schließlich klar, daß jedes dieser Gebiete – der Wald, die Gegend, wo Renie das Steinmädchen getroffen hatte, auch die Gegenden, die sie nur dem Hörensagen nach kannte wie Holla Buschuschusch und das Zwergenland über den Bergen – am Anfang und Ende von einem Fluß begrenzt war. Man mußte einen Fluß überqueren, um in das nächste Land zu kommen. Das Ganze erinnerte sie ein bißchen an Lewis Carrolls Schachbrettwelt, wo Alice auf jedem Feld ein anderes Abenteuer erlebte.
    Tja, kann sein, aber »immer merkwürderlicher« trifft’s hier nicht,

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