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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ekliger schwarzer Fen-fen das Insekt vollspritzte, von dem die Geschichte handelte? Und wie konnte ein Insekt einen Regenbogen zum Sohn haben? Außerdem verwirrte es sie, daß die eine Geschichte darüber, wie aus einer Sandale eine Antilope entstanden war, plötzlich eine ganz andere Geschichte geworden war: Das widersprach ihrer Vorstellung davon, wie Geschichten eigentlich zu gehen hatten. Aber sie wußte, daß diese Sachen für !Xabbu wichtig waren, in gewisser Hinsicht wie eine Religion, und sie wollte niemanden verletzen, den sie so gern hatte.
    Da rief eine hohe Stimme aus der schweigenden Menge: »Erzähl noch eine!«
    !Xabbu sah ein wenig verdutzt auf, doch bevor er oder Sam ausmachen konnte, von wem die Bitte gekommen war, schlossen sich andere an, bis es ein ganzer Chor war.
    »Eine Geschichte!«
    »Erzähl noch eine!«
    »Bitte!«
    »Sie wollen noch mehr Geschichten hören«, sagte !Xabbu verwundert.
    »Sie fürchten sich«, meinte Sam. »Das Ende der Welt kommt. Und es sind alles Kinder, nicht wahr?« Beim Blick in die Runde bittender, sehnsüchtiger Gesichter kamen ihr fast die Tränen. Wenn Jongleur in der Nähe gewesen wäre, hätte sie sich auf ihn gestürzt, hätte versucht, ihn niederzuschlagen und dafür büßen zu lassen, was er in seinem rücksichtslosen Egoismus diesen Unschuldigen angetan hatte. »Das müssen sie sein«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu !Xabbu . »Das müssen die gestohlenen Kinder sein.«
    Da blieb ihr Auge an einem bekannten Gesicht in der Menge hängen, doch es dauerte eine Weile, bis ihr einfiel, wo ihr der gutaussehende, dunkelhaarige Mann schon einmal begegnet war. Er stand in einer der hinteren Reihen, hielt in der Hand ein Bündel, das Sam nicht richtig erkennen konnte, und fixierte !Xabbu mit einem stieren, geistesabwesenden Blick. Die Märchenkinder hielten alle ein wenig Abstand von ihm, als spürten sie, daß etwas mit ihm nicht stimmte.
    Sam zog !Xabbu am Arm. »Schau mal, da ist dieser Gralstyp – der Kerl, der gleichzeitig mit Renie verschwunden ist.«
    »Ricardo Klement? Wo?«
    »Da drüben«, sagte Sam, doch jetzt war dort, wo Klement eben gestanden hatte, nur mehr ein leerer Fleck. »He, vor einer Sekunde war er noch da, ungeduppt!«
    Während sie ihre suchenden Blicke über die Masse der Flüchtlinge schweifen ließen, wurde Sam gewahr, daß jemand ganz dicht bei ihr stand, ein kleines Kind, das anscheinend aus Erde bestand. Sie versuchte, um das Hindernis herumzutreten, doch das Kind bewegte sich mit und zupfte mit einer plumpen Hand an Sams Zigeunerkleidern.
    »Er ist nicht mehr da«, sagte !Xabbu . »Er ist größer als die meisten anderen hier, wir würden ihn sehen, denke ich …«
    »Er kann nicht so schnell verschwunden sein«, meinte Sam irritiert. Hinter den Flüchtlingen, die weiter um noch eine Geschichte quengelten, war der graue Hang ein großes Stück weit leer. »Wir hätten ihn gesehen.« Das Erdkind ließ nicht ab, um ihre Aufmerksamkeit zu betteln. »Hörst du vielleicht mal auf, an mir rumzuzerren!« fauchte Sam.
    Das Kind ließ los und trat einen Schritt zurück. Bei seinem groben Gesicht, dessen Züge nur Dellen und Kerben waren, konnte von Ausdruck kaum die Rede sein, doch es straffte die Schultern in einer Art, die deutlich machte, daß es nicht vorhatte, sich verscheuchen zu lassen. »Ich will mit euch reden«, sagte es mit der Stimme eines kleinen Mädchens.
    Sam seufzte. »Worüber?«
    »Seid ihr … seid ihr Renies Freunde?«
    Sam hatte mit einer besonders penetranten Bitte gerechnet, !Xabbu möge noch ein Märchen erzählen, und konnte die Kleine im ersten Moment nur fassungslos anstarren. »Renie …?«
    Im Nu war !Xabbu herbeigesprungen und kniete neben dem Kind. »Wer bist du?« fragte er. »Kennst du Renie? Weißt du, wo sie ist? Ja, wir sind ihre Freunde.«
    Das Mädchen sah ihn an. »Ich … ich bin das Steinmädchen.« Der rohe Strich, der sein Mund war, zuckte, und es fing an zu weinen. »Wißt ihr auch nicht, wo sie ist?«
    An der Art, wie er die Augen schloß und ächzte, als hätte er einen schmerzhaften Schlag versetzt bekommen, erkannte Sam !Xabbus herbe Enttäuschung. »Vielleicht erzählst du uns einfach alles«, sagte sie zu dem weinenden Steinmädchen.
     
    »… Und dann sind wir vor den Tecks davongelaufen, den Hügel hinauf und über die Brücke.« Das Kind zog noch ein wenig die Nase hoch, hatte sich aber ansonsten beim Erzählen ihrer Wanderung mit Renie einigermaßen beruhigt. »Und da haben wir den

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