Otherland 4: Meer des silbernen Lichts
komischen Mann gesehen, der auch ihr Freund war, aber der ist einfach so gegangen, und die Tecks sind um ihn rumgelaufen!« Davon war sie sichtlich beeindruckt. »Als ob er sie gar nicht interessieren würde.«
»Total scännig!« meinte Sam. »Das muß dieser Dings gewesen sein … Klement.«
!Xabbu runzelte die Stirn. »Und was geschah dann? Als ihr die Brücke überquert hattet?«
Das Steinmädchen kaute kurz auf einem erdigen Finger und überlegte. »Wir sind eigentlich gar nicht ins Häckselhaus rein, nicht wie normal. Na ja, wir sind schon irgendwie rein, doch dann war ich sofort hier am Brunnen. Aber Renie nicht.« Sie kniff die Augen zusammen, um weitere Tränen zu unterdrücken. »Was meint ihr, geht’s ihr gut?«
»Das hoffen wir voll«, antwortete Sam und wandte sich !Xabbu zu. »Aber wo ist sie?«
Die Unruhe stand dem kleinen Mann im Gesicht geschrieben. »Wir anderen gelangten auf ähnliche Weise hierher, denke ich. Wir kamen dem Andern nahe, wurden gewogen, vielleicht beurteilt, und dann fortgeschickt. Diejenigen wie Azador und dieses kleine Mädchen, die in diese Welt gehören, wurden dem gar nicht unterzogen, sondern einfach geradewegs hierher versetzt.«
»Was hat das zu bedeuten?«
Er erhob sich und tätschelte dem Steinmädchen gedankenverloren den Kopf, wirkte dabei aber noch niedergeschlagener als zuvor. »Vielleicht irre ich mich, aber ich denke, daß Renie eingelassen wurde.«
»Eingelassen?« Sam verstand ihn nicht.
»In den Brunnen.« !Xabbu schaute sich nach dem Krater und seinem Meer unruhiger Lichter um. »Ich denke, sie befindet sich im innersten Herzen des Andern.«
»Ach, du Schreck«, sagte Sam. »Gott, wirklich?«
Zum erstenmal, seit Sam zurückdenken konnte, berührte !Xabbus Lächeln sie unangenehm. »Ja, Gott, wirklich. Der Gott dieser Welt jedenfalls. Der sterbende, verrückte Gott.«
Sams Puls raste. Sie hatte das Steinmädchen ganz vergessen, das immer noch zwischen ihnen stand und ein ratloses und trauriges Gesicht machte. » !Xabbu , was sollen wir tun?«
»Was ich tun werde, weiß ich: ihr folgen.« Er starrte auf den Brunnen, als sähe er ihn zum erstenmal. Sam mußte daran denken, wie sehr er sich schon davor gefürchtet hatte, in einen gemächlich dahinströmenden Fluß zu springen. »Ich … ich werde hinuntertauchen.«
»Aber nicht ohne mich.« Ihre Furcht davor, allein zurückzubleiben, war in dem Moment größer als das Grauen, das ihr der widernatürliche Brunnen einflößte. »Ich hab dir ja schon gesagt, was ich von diesem ganzen heldenmütigen Fen-fen halte.«
Er schüttelte den Kopf. »Du verstehst mich nicht, Sam. Der Andere – ich glaube, daß er mich bereits abgewiesen hat, dich auch, uns alle.« Seine Stimme war sehr leise geworden. »Ich glaube nicht, daß ich zu Renie gelangen werde, aber ich muß es versuchen.« Er blickte sie beinahe flehend an. »Ich kann dich nicht mitnehmen, Sam, wenn ich das sichere Gefühl habe, daß es aussichtslos ist.«
Sie hatte schon eine zornige Erwiderung auf der Zunge, als ihr plötzlich klar wurde, daß ein lautstarkes Schimpfen, das seit etlichen Sekunden im Hintergrund ertönte, aus Felix Jongleurs Mund kam. Sie drehte sich um und erblickte den alten Mann auf halbem Wege zwischen der Stelle, wo sie mit !Xabbu stand, und dem Rand des Zigeunerlagers.
»… aber jetzt glaube ich das nicht mehr. Ich denke, dein Schweigen ist eine gezielte Unverschämtheit – oder Schlimmeres.«
Bei dem Angeschrienen handelte es sich um Ricardo Klement.
!Xabbu eilte bereits den Hang hinunter. Sam tat ein paar Schritte, doch ein kläglicher Ruf hinter ihr ließ sie innehalten. Sie hatte das Steinmädchen vergessen.
»Komm mit«, sagte Sam. »Soll ich dich tragen?«
Das Steinmädchen schüttelte steif den Kopf, faßte dann aber Sams Hand mit einem kühlen und überraschend festen Griff.
Als sie schließlich die anderen erreichten, versuchte !Xabbu gerade verzweifelt, Klement nach Renie zu befragen, doch Jongleur in seiner kalten Wut ließ ihn nicht zu Wort kommen. Jetzt endlich konnte Sam das Ding erkennen, das Klement in der Hand hielt, und sie war schockiert und angewidert. Die Kleinkindgestalt und die rudimentären Züge paßten schlecht zu der schmutzigen graublauen Farbe.
»Du willst mir also nicht einmal antworten, was?« herrschte Jongleur Klement an. »Ich dachte, du wärst mein Verbündeter, Ricardo. Ich habe deinetwegen viele Opfer auf mich genommen. Und dennoch verschwindest du im Augenblick der größten Not
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