Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
überrumpelt worden wäre.
    »Laß uns in Ruhe!« schrie Ava.
    »Oh, wohl kaum.« Mudd schüttelte seinen breiten Schädel. »Ich denke, unser Herr Jonas hat sich ein bißchen zuviel herausgenommen.« Er warf Paul einen Blick voll giftiger Schadenfreude zu. »Ich denke, er hat eine Strafe verdient.« Er richtete sein höhnisches Grinsen auf Ava. »Ihr beide vielleicht.«
    »Nein!« Ava sprang auf, aber verhedderte sich in ihrem langen Morgenmantel und stolperte. Mudd langte mit seiner plumpen Pranke zu, sei es, um sie zu packen, sei es nur, um sie zu stützen, doch als Paul ihn nach ihr grapschen sah, griff er sich instinktiv den ersten schweren Gegenstand, der ihm zur Hand kam, einen faustgroßen Stein, und schleuderte ihn Mudd ins Gesicht. Der Koloß brüllte vor Schmerz und kippte nach hinten. Als er die Hände von der Stirn nahm, waren sie blutbeschmiert.
    »Dafür bring ich dich um, du kleiner Scheißer«, schnarrte er. »Ich brech dir sämtliche Knochen!« Paul zerrte Ava hoch und lief los. Hinter ihm sprach Mudd eine Alarmmeldung in die Luft. »Achtung! Sicherheitsdienst auf die Parketage! Schnell!«
    Zweige peitschten Paul ins Gesicht, während er blindlings durch das Dickicht lief, Ava fest an der Hand. Wo konnten sie hin? Das hier war kein richtiger Wald, es war eine künstliche Anlage im obersten Geschoß eines Wolkenkratzers. In den Aufzügen fuhren in diesem Moment bereits die Wachmänner nach oben. Ava und er kamen nicht mehr nach unten.
    Er verlangsamte seine Schritte. »Es ist sinnlos, Ava. Wir haben keine Chance zu entkommen, und sie könnten dir was tun.« Und mir werden sie auf jeden Fall was tun, dachte er, aber sprach es nicht aus. »Kannst du deinen Vater auf irgendeinem Wege direkt kontaktieren?«
    »Ich weiß nicht. Ich spreche nur mit ihm, wenn er … sich meldet.« Ihre Augen waren fiebrig geweitet, als ob sie und nicht er zuviel getrunken hätte. Paul fühlte, wie er kalt und distanziert wurde, so daß alles in einem großem Abstand von ihm zu geschehen schien. »Dir darf nichts passieren«, sagte sie, und ihre Tränen flossen über. »Ich liebe dich, Paul.«
    »Das Ganze war Irrsinn«, erklärte er. »Wir hätten das niemals zulassen dürfen. Ich gebe auf.«
    »Nein!«
    »Doch.« Sie hatten ihn, und sie konnten mit ihm machen, was sie wollten. Plötzlich kam ihm ein Gedanke, ein ganz vager Hoffnungsschimmer. »Kannst du mit deinem Helfer sprechen, dem Geist, wie du ihn nennst? Kannst du ihn jetzt erreichen?« Das war vielleicht die einzig mögliche Versicherung dagegen, daß man ihn einfach zerklatschte und wegschnippte wie ein lästiges Insekt. Falls der geheimnisvolle Unbekannte eine Verbindung zustande brachte, konnte Paul vielleicht seinem Freund Niles Peneddyn Bescheid sagen. Zumindest konnte er Niles eine Nachricht hinterlassen, aus der hervorging, was sich hier abspielte. Das würde es Jongleurs Leuten erschweren, ihn verschwinden zu lassen – vielleicht konnte er es sogar als Pfand einsetzen, um mit ihnen zu verhandeln. »Kannst du ihn erreichen?« fragte er Ava abermals.
    »Ich … ich weiß nicht.« Sie hielt an und schloß die Augen. »Hilf mir! Mein Freund! Ich brauche dich!«
    In der anschließenden Stille hörte Paul die Geräusche der Verfolger, jetzt nicht mehr nur Mudds Stimme, sondern auch mehrere andere, die sich im Dickicht des Wäldchens gegenseitig zuriefen, dazu das aufgeregte Pfeifen und Schreien der Vögel. Die erste Wachmannschaft mußte eingetroffen sein, sagte er sich, und gerade hinter ihnen in dem künstlichen Wald ausschwärmen.
    »Er … er antwortet nicht«, sagte Ava kläglich. »Manchmal meldet er sich nicht gleich …«
    Jetzt weiß ich, wieso sie einen wie mich einstellen wollten, einen, der keine von diesen implantierten Buchsen hat, sagte sich Paul bitter. Ich dachte, es wäre ihnen unter den Umständen zu modern, aber sie wollten schlicht und einfach niemanden, der ungehindert mit der Außenwelt kommunizieren kann.
    »Wo ist er?« Die scharfe, hohe Stimme, die durch die Bäume hallte, gehörte Finney. Jongleurs Jagdhunde hatten jetzt alle die Hatz aufgenommen. Paul überlegte, ob er sich nicht einfach hinsetzen und in das Unvermeidliche schicken sollte.
    »Hilf mir!« rief Ava in die Luft.
    »Vergiß es.« Er ärgerte sich jetzt nur noch – über sich selbst, über dieses alberne, verblendete Mädchen, sogar über Niles und seine beschissenen High-Society-Beziehungen. »Es ist gelaufen.«
    »Nein.« Ava riß ihm ihren Arm weg und stürzte los.

Weitere Kostenlose Bücher