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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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»Wir fliehen aus dem Wald – es muß einen Ausweg geben!«
    »Es gibt keinen Ausweg!« schrie Paul, doch sie brach sich bereits einen Weg durch das dichte Gestrüpp. Obwohl seine Beine schwer waren wie in einem Albtraum, stolperte er hinter ihr her.
    Ringsherum zogen die Jäger ihren Kreis enger, schlossen sie langsam ein, schnitten die Fluchtwege ab. Ava rannte geradeaus, als ob hinter dem Wald tatsächlich irgendwo Hügel und Wiesen lägen und die Freiheit winkte.
    »Komm zurück!« rief er, doch sie hörte nicht. Ihr wehender Morgenmantel verfing sich an langen Ästen, und dennoch lief sie viel flinker als er, enteilte ihm wie ein Phantom. Er hastete ihr nach und versuchte sich dabei krampfhaft zu erinnern, was vor ihnen war. Der Aufzug? Nein, auf der Seite nicht. Aber gab es da nicht eine Feuerleiter? Hatte nicht Mudd oder Finney am ersten Tag etwas davon erwähnt?
    Doch. »Wünsch dir lieber, daß du sie niemals nötig hast, Jonas«, hatte Mudd ihm grinsend erklärt. »Das Fenster ist nämlich dicht. Herr Jongleur läßt sich von keiner Behörde vorschreiben, was er mit seinem Haus zu machen hat.«
    Dicht. Aber was genau heißt das? Von Ästen geschlagen und gestochen und über den holperigen Kunstwaldboden stolpernd konnte er kaum einen Gedanken fassen. Ava war ihm jetzt zehn Meter und mehr voraus und trieb ihn immer wieder mit Zurufen zur Eile an. Zugleich hörte er, wie die Verfolger knappe Meldungen hin- und hergaben, planvoll wie Roboter.
    »Mach keinen Quatsch, Jonas!« Finney klang schon ganz nahe. »Bleib stehen, bevor dir was passiert!«
    Hol dich der Teufel, du Arschloch, dachte er.
    »Paul, ich kann schon das Freie sehen …!« Ihre Stimme war voller Hoffnung. Gleich darauf stieß sie einen wilden Enttäuschungsschrei aus. Pauls Herz machte einen Ruck. Er brach durch die letzten Äste und sah Ava wie erstarrt am Ende der Naturkulisse vor einer weißen Wand stehen. Die glatte Fläche, an der weder Fugen noch sonstige Unterbrechungen zu erkennen waren, ragte gute zehn Meter gerade in die Höhe, bevor sie sich zum Dach krümmte und das ganze Stockwerk mit dem noch viel höheren künstlichen Himmel überspannte. Auch die Lücke zwischen Wald und Wand beschrieb nach beiden Seiten eine Kurve und wurde bald von den dichten Bäumen verdeckt.
    »Es … es ist …«, stammelte Ava bestürzt.
    »Ich weiß.« Pauls Herz schlug so schnell, daß ihm schwindlig wurde. Der kahle Bogen der Außenwand gab keinen Hinweis, wohin sie sich wenden sollten. Ihre näher kommenden Verfolger hatten sie sicher gleich eingeholt. Er mußte sich für eine Richtung entscheiden, obwohl er keine Ahnung hatte, wo die Feuerleiter zu finden war. Gegenüber dem Fahrstuhl – aber wo mochte das sein? Sie waren im Zickzack durch den Wald gelaufen und konnten hundert Meter oder mehr davon entfernt sein.
    Links, beschloß er, während seine Gedanken umherschnellten wie aufgeregte Fische. Die Chancen sind fifty-fifty, und wahrscheinlich ist es sowieso egal. Er faßte Ava – sie kam ihm leicht wie ein kleines Kind vor, als ob sie hohle Knochen hätte – und zerrte sie an der gekrümmten Wand entlang.
    Einige der Äste ragten über die Grenze des künstlichen Waldes hinaus. Da Paul das Mädchen im Schlepptau hatte, zerkratzten sie ihm das Gesicht, so daß er eine Hand vor die Augen legen mußte. Er sah kaum etwas und merkte es zunächst gar nicht, als die Äste ihn nicht mehr erreichten. Da streifte er auf der anderen Seite über etwas Kühles und Glattes, glatter als die Wand.
    Paul blieb stehen und nahm die Hand von den Augen. Unter ihm erstreckte sich die ganze Insel, doch der Blick war merkwürdig verzerrt, die Farben verlaufen und zerlegt. Das quadratische Fenster, das in Kniehöhe anfing, maß ungefähr fünf mal fünf Meter. Der Boden davor war Holzparkett – der Wald trat hier weit von der Wand und dem Fenster zurück, so daß sich eine breite Fläche auftat, in der zwei Lastwagen nebeneinander hätten parken können.
    Mudd brüllte irgendwo zwischen den Bäumen wie ein Stier. Es hörte sich an, als stieße er die Stämme mit den bloßen Händen um.
    »Er ist hier!« sagte Ava mit erstickter Stimme.
    »Ich weiß.« Paul wünschte, er hätte noch einen Stein – er hätte dem dicken Dreckskerl mit dem größten Vergnügen die häßliche Visage zerschmettert. Oder eines von Finneys kleinen Schlangenaugen ausgeschlagen.
    »Nein, mein Freund – der ist hier!«
    Paul schaute sich um und erwartete halb, eine schemenhafte Gestalt zu

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