Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
krampfartigen Zuckungen.
    »Es wird sehr üble Formen annehmen, wenn du mich warten läßt«, raunte Dread. »Schmerzen. Und nicht bloß für dich, kleine Martine. Es wird ein großes Zetern und Wehklagen geben. Los, gib dir einen Ruck und komm zu mir, dann kannst du die unschuldigen Kinder retten.«
    »Nein«, ächzte sie, aber so leise und tonlos, daß selbst Paul es kaum verstand.
    »Komm raus«, sagte die dunkle Gestalt. »Ich zeig dir nochmal die verborgenen Orte. Die Orte in dir, von denen du dachtest, daß niemand sie finden kann. Du weißt, daß das geschehen wird. Wieso noch länger warten? Die Angst wird nur immer schlimmer werden.« Die Stimme nahm einen tieferen, schauderhaft lockenden Ton an. »Komm her zu mir, süße Martine. Ich erlös dich. Du wirst nie wieder Angst haben müssen.«
    Zu Pauls Entsetzen begann sie, auf dem Bauch auf die Barriere zuzurutschen. Er hielt sie an der Taille fest, doch der Zug, der auf sie wirkte, war stark, ungeheuer stark. Tretend, schlagend und schluchzend wehrte sie sich gegen ihn, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als sie mit Armen und Beinen zu umklammern. T4b zwängte sich durch das Gewühl der Leiber und packte ihre Schultern, und schließlich gab Martine den Widerstand auf. Sie weinte jetzt noch heftiger, und ihr ganzer Körper wand sich in Zuckungen. Paul legte sein Gesicht an ihre Wange und drückte sie an sich, murmelte ihr sinnlose Beruhigungsworte ins Ohr.
    »Na schön«, sagte Dread. »Dann muß das Spiel eben anders laufen.« Flink wie eine Spinne am Netz huschte er an der Barriere entlang und blieb dann stehen. »Bloß weil ich draußen bin, braucht ihr nicht zu meinen, ich käme nicht an euch ran. O nein, ich kann durchaus für ein bißchen … Abwechslung sorgen. Diese niedliche kleine Trennwand, die das Betriebssystem da aufgefahren hat, sperrt mich vielleicht ein paar Minütchen aus – aber euch sperrt sie mit ein paar guten alten Freunden ein!« Er drückte die Nebelhülle mit den Fingern etwas nach innen. »Sie sind überall, nicht wahr? Das ganze Netzwerk ist von diesen Kreaturen durchseucht. Eigentlich ein ziemlich harmloses Geschmeiß.« Er kicherte. »Bis ich sie aufwecke.«
    In der atemlosen Stille, die sich anschloß, zog Paul Martine in eine sitzende Position hoch, behielt aber die Arme fest um sie geschlungen. Ein dünner Schrei stieg ein Stück weiter am Ufer auf, dann ein zweiter und ein dritter, bis ein ganzer schriller Schreckenschor die Luft erzittern ließ. Die dort versammelten Scharen fingen an, hektisch in alle Richtungen nach außen zu drängen wie Ratten, die von einem brennenden Schiff fliehen. Im Zentrum des Durcheinanders schwoll eine unförmige Gestalt an, als wüchse sie aus dem trockenen Staub empor.
    Nein, erkannte Paul, und seine Eingeweide krampften sich zusammen. Zwei Gestalten. In seinem Kopf hörte er Dreads fieses Lachen, und hinter ihm fluchte T4b wie von Sinnen. Martine hing in seinen Armen wie ein leerer Sack.
    Der spannenlange Hansel und die nudeldicke Dirn gingen in einer regelrechten Fleischexplosion zu kolossalen Dimensionen auf, bis sie die Menge hoch überragten. Hansels knochige Finger verformten sich und schossen in die Länge wie blitzschnell wachsende Zweige. Seine Beine streckten und streckten sich, seine Zehen krümmten sich zu Klauen, selbst sein Gesicht verzog sich und wurde immer länger, bis er zuletzt sein jungenhaftes Aussehen völlig verloren hatte und lang und knorrig war wie ein alter Baum. Er packte sich mit seinen dürren Krallen eine kreischende pelzige Tiergestalt mit einem rosa Schleifchen, zerriß sie und streute die blutigen Fetzen über die Märchenwesen, die verzweifelt vor ihm wegzulaufen versuchten.
    Die nudeldicke Dirn blähte sich auf wie ein Jahrmarktsballon: Ihre Arme und Beine blieben puppenwinzig, während der widerlich fette Rumpf sich immer weiter ausdehnte und die hilflosen Geschöpfe um sie herum zerquetschte. Der Kopf verschwand nach und nach in den sich aufwölbenden Schulterpolstern, bis davon nur noch ein riesiger Nilpferdrachen voll schiefer Zähne zu sehen war, der über der wabbelnden Brust klaffte. Sie klappte nach vorn wie ein riesiger Pudding und kam mit einem Schock zappelnder Gestalten im Maul wieder hoch. Sie schluckte sie langsam herunter, wobei sich ihr ausgefahrener Hals hierhin und dorthin spannte, da einige der Verspeisten sich noch bewegten.
    »Wo ist die Prinzessin?« Der spannenlange Hansel hatte keine Augen mehr, nur eine Hautfalte quer über der

Weitere Kostenlose Bücher