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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Sozialstation in der Jarvis Street, um die Prostituierten
über die Krankheiten aufzuklären, die beim Geschlechtsverkehr übertragen werden
können – und er steckt bis zum Hals in sozialen Projekten für die Farbigen in
der Bathurst Street, die gleichen Leute, über die sich Mr.   Holt so unflätig
äußert; doch für meine Probleme hat Rev. Mr.   Foster wenig Verständnis, sie
existieren seiner Meinung nach nur in meinem Kopf. Dieses »nur« finde ich
ungemein beruhigend!
    Und so bleibt mir heute lediglich Canon Mackie als Gesprächspartner;
bei Canon Mackie ist es ähnlich. Ich habe ihn gefragt: »Haben Sie heute Zeitung
gelesen – The Globe and Mail, die erste Seite?«
    [314]  »Nein, ich bin heute morgen noch
nicht dazugekommen«, erwiderte Canon Mackie, »aber lassen Sie mich raten. War
es etwas über die Vereinigten Staaten? Etwas, was Präsident Reagan gesagt hat?«
Canon Mackie ist nicht direkt herablassend; er ist es eher indirekt.
    »Gestern hat ein Kernwaffentest stattgefunden – der erste von 1987«,
erklärte ich ihm. »Er sollte erst morgen stattfinden, aber sie haben ihn
vorverlegt – um die Atomwaffengegner auszutricksen. Natürlich waren
Protestveranstaltungen geplant – für morgen.«
    »Natürlich«, meinte Canon Mackie.
    »Und die Demokraten hatten eine Abstimmung geplant – für heute – über eine Resolution, die Präsident Reagan veranlassen sollte, auf den Test zu
verzichten«, erklärte ich ihm weiter. »Die Regierung hat in bezug auf das
Testdatum bewußt die Unwahrheit verbreitet. Fein, wie die mit Steuergeldern
umgehen, was?«
    »Sie zahlen ja in den Vereinigten Staaten keine Steuern, nicht
mehr«, entgegnete mir Canon Mackie.
    »Die Sowjets haben erklärt, sie würden keine Tests mehr durchführen,
solange auch die USA darauf verzichteten«, fuhr ich
fort. »Sehen Sie denn nicht, wie da bewußt provoziert wird? Was für eine Arroganz dahintersteht? Diese Gleichgültigkeit gegenüber
sämtlichen Abrüstungsabkommen! Jeder Amerikaner sollte gezwungen werden, ein
oder zwei Jahre lang außerhalb der USA zuleben. Man sollte sie zwingen zu erkennen, wie lächerlich sie auf den Rest der Welt wirken! Sie sollten
sich einmal anhören, wie man sie anderswo sieht – ganz
gleich wo ! In jedem Land der Erde weiß man mehr über die Amerikaner, als
die über sich selbst wissen! Und die Amerikaner wissen absolut nichts über irgendein anderes Land!«
    Canon Mackie sah mich nachsichtig an. Ich habe es kommen sehen; ich
rede über ein bestimmtes Thema, und er bringt es dennoch fertig, am Ende mich zum Gesprächsthema zu machen.
    [315]  »Ich weiß, Sie haben sich über
die Wahlen zum Pfarrgemeinderat geärgert, John« sagte er zu mir. »Sie dürfen
nicht glauben, irgend jemand würde daran zweifeln, daß Sie ein treuer Anhänger
unserer Kirche sind.«
    Da rede ich über die Gefahr eines Atomkrieges und über die übliche,
selbstgerechte Arroganz der Amerikaner, und worüber will Canon Mackie sprechen?
Über mich.
    »Sie wissen doch, wie sehr unsere Gemeinde Sie achtet, John«,
erklärte er mir. »Aber merken Sie eigentlich überhaupt nicht, wie ihre… Ansichten stören können? Es ist typisch amerikanisch, solche Ansichten, so entschiedene Ansichten zu haben wie
Sie. Und es ist typisch kanadisch, solchen entschiedenen Ansichten zu
mißtrauen.«
    »Ich bin Kanadier«, entgegnete ich. »Seit zwanzig Jahren bin ich
Kanadier.«
    Canon Mackie ist ein großer, gebeugt gehender Mann mit einem
nichtssagenden Gesicht und so häßlich, daß seine plumpe Größe nicht bedrohlich
wirkt – und so grundanständig, daß er trotz seiner Verbohrtheit nicht
verletzend wirkt.
    »John, John«, meinte er zu mir. »Sie sind kanadischer Staatsbürger,
und wovon sprechen Sie in einem fort? Sie sprechen mehr über die USA als jeder Amerikaner, den ich kenne! Und Sie sind
antiamerikanischer als alle Kanadier, die ich kenne«, fuhr er fort. »Sie sind
ein bißchen… nun ja, ein wenig starrsinnig bei diesem Thema, finden Sie nicht?«
    »Nein, das finde ich nicht«, entgegnete ich.
    »John, John«, fuhr Canon Mackie fort. »Daß Sie sich da gleich so
aufregen – das ist auch nicht besonders kanadisch.« Er weiß, wo er ansetzen
kann.
    »Nein, und es ist nicht einmal besonders christlich«, gab ich zu.
»Tut mir leid.«
    »Es braucht Ihnen nicht leid zu tun«, rief Canon Mackie fröhlich
aus. »Versuchen Sie sich… ein klein wenig zu ändern!« Die [316]  Sprechpausen, die er macht, sind mindestens
genauso nervig

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