Owen Meany
zogen ihre Kopfbedeckung ab, um ihn besser sehen zu können; die
meisten Kinder waren noch klein – ein paar waren sogar noch kleiner als Owen.
Ehrfurchtsvoll starrten sie ihn an. Der Wind blies ihm durch die Windeln, und
seine nackten Arme nahmen eine rosige Farbe an; er schlang sie um seine
schmächtigen Schultern. Die Meanys, die verängstigt im Führerhaus des
Granitlasters saßen, warteten auf ihn. Die Jungfrau Maria und ich hievten ihn
hinein; so, wie er eingepackt war, konnten wir ihn nur quer über den Sitz legen – seine Beine lagen auf dem Schoß seines Vaters, so daß der gerade noch das
Steuer bedienen konnte, Kopf und Oberkörper ruhten auf seiner Mutter, die ihre
Gewohnheit wiederaufgenommen hatte, nicht direkt aus dem Fenster zu schauen,
auf gar nichts direkt zu schauen.
»MEINE KLEIDER «, sagte der Herr Jesus
zu mir. » HOL SIE UND HEB SIE FÜR MICH AUF.«
»Klar«, sagte ich.
»GOTTSEIDANK HAB ICH MEINEN GLÜCKSSCHAL AN«, meinte
er zu mir. » NACH HAUSE !« wies er seine Eltern an,
und Mr. Meany legte den ersten Gang ein.
Ein Schneepflug bog gerade von der Front Street in die Elliot [312] Street ein; in Gravesend war es üblich, dem
Schneepflug Platz zu machen, doch selbst der Schneepflug machte Platz für Owen.
Toronto, Mittwoch, 4. Februar 1987. Fast niemand hat an der
morgendlichen Abendmahlfeier teilgenommen. Das heilige Abendmahl ist
angenehmer, wenn man sich nicht in einer großen Menschentraube den Mittelgang
entlangschieben und vor dem Geländer, an dem es ausgeteilt wird, Schlange stehen
muß, wie ein Tier, das auf einen freien Platz am Futtertrog wartet – wie ein
Kunde an einem Stehimbiß. Massenabfertigung beim Abendmahl mag ich nicht.
Mir ist die Art, wie Rev. Mr. Foster das Brot austeilt, lieber als
die boshafte Methode von Canon Mackie; der macht sich einen Spaß daraus, mir
das winzigste Bröckchen zu reichen, das er in der Hand hat – nicht mehr als
einen Krümel! – oder aber er gibt mir einen riesigen Brocken, den ich kaum in
den Mund kriege und erst nach gründlichem Kauen hinunterschlucken kann. Canon
Mackie treibt gern seinen Spaß mit mir. Er sagt zum Beispiel: »Also, ich finde,
Sie gehen ein bißchen zu häufig zum Abendmahl, lieber John! Allzuviel ist
ungesund, Sie sollten etwas besser auf Ihre Ernährung achten!« Dabei gluckst er
belustigt vor sich hin; oder er sagt: »Na, Sie kommen aber oft zum Abendmahl,
Sie scheinen kurz vor dem Verhungern zu stehen – kriegen Sie denn nirgendwo
etwas Anständiges zu essen?« Und wieder gluckst er vor unterdrücktem Lachen.
Rev. Mr. Foster teilt das Brot zumindest mit einem klaren Sinn für
die Heiligkeit dieser Handlung aus; mehr verlange ich gar nicht. Beim Wein habe
ich keinen Grund zur Beschwerde; den reichen die beiden ehrenamtlichen Helfer,
Rev. Mr. Larkin und Rev. Mrs. Keeling – Mrs. Katherine Keeling; sie ist die
Direktorin der Bishop Strachan School, und Bedenken habe ich in bezug auf sie
nur, wenn sie schwanger ist. Rev. Mrs. Keeling ist oft schwanger, und ich
finde, sie sollte nicht gerade den Wein austeilen, wenn sie [313] so schwanger ist, daß es sie regelrecht
anstrengt, sich vorzubeugen und uns den Kelch an die Lippen zu halten; das
macht mich nervös; und außerdem, wenn sie hochschwanger ist und man vor dem
Geländer kniet und auf den Wein wartet, dann bringt es einen doch etwas
durcheinander, ihren Bauch in Augenhöhe näherkommen zu sehen. Und dann Rev. Mr.
Larkin: er zieht den Kelch manchmal schon wieder zurück, ehe man mit dem Wein
die Lippen benetzt hat – bei ihm muß man schnell sein; und er wischt auch den
Rand des Kelchs nicht jedesmal sorgfältig genug ab.
Von ihnen allen ist Rev. Mrs. Keeling diejenige, mit der man am
besten reden kann – jetzt, wo Canon Campbell tot ist. Ich mag Katherine Keeling
wirklich und bewundere sie. Ich habe es bedauert, daß ich gerade heute, wo ich
wirklich jemanden brauchte, um mich auszusprechen, nicht mit ihr reden konnte;
aber Mrs. Keeling ist vorübergehend beurlaubt – sie bekommt wieder einmal ein
Kind. Rev. Mr. Larkin ist genauso schnell, wenn es darum geht, sich einem
Gespräch zu entziehen, wie beim Austeilen des Weins; Rev. Mr. Foster glüht zwar
vor missionarischem Eifer, doch er erweist sich als ungeduldig gegenüber den
Klagen eines Mannes in den besten Jahren, der recht komfortabel hier am Forest
Hill wohnt. Rev. Mr. Foster ist ein entschiedener Befürworter der Eröffnung
einer kirchlichen
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