Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
wie seine Ratschläge.
    »Dieses verdammte Star-Wars-Projekt regt mich auf«, versuchte ich
ihm zu erklären. »Im Moment wird das Wettrüsten doch nur noch durch den ABM -Vertrag von 1972 eingeschränkt. Und jetzt fordert
Reagan die Sowjetunion unverblümt dazu auf, gleichfalls Kernwaffentests
durchzuführen; und wenn er seine Pläne für Weltraumwaffen durchzieht, kommt das
für die Sowjetunion einer Aufforderung gleich, den Vertrag von 1972 auch noch
auf den Müll zu schmeißen!«
    »Sie sind ja wirklich auf Geschichte gepolt«, meinte Canon Mackie.
»Wie können Sie sich nur all die Daten merken?«
    »Mein lieber Canon«, hob ich an.
    »John, John«, sagte er besänftigend. »Ich weiß, Sie sind ziemlich
erregt; ich will mich nicht über Sie lustig machen. Ich will Ihnen doch nur zu
verstehen helfen, daß das mit den Pfarrgemeinderatswahlen…«
    »Die kümmern mich doch einen feuchten Kehricht!« unterbrach ich ihn
verärgert – und zeigte damit natürlich, daß das Gegenteil der Fall war.
»Entschuldigen Sie!« fügte ich an.
    Canon Mackie legte mir seine warme, feuchte Hand auf den Arm.
    »Meine jüngeren Mitarbeiter halten Sie für einen ziemlich
exzentrischen Menschen. Denen fehlt das Verständnis für die Zeit, in der es Sie
hierherverschlagen hat; die fragen sich, warum – vor allem, wo Sie so lautstark
über die Vereinigten Staaten schimpfen – warum Sie
nicht kanadischer geworden sind! Denn, wissen Sie, ein richtiger Kanadier sind
Sie nicht – und das bereitet auch einigen älteren Mitgliedern unserer
Pfarrgemeinde Schwierigkeiten; das beunruhigt sogar diejenigen von uns, die
sich noch an die Umstände erinnern, die Sie hierhergebracht haben. Wenn Sie
sich doch entschieden haben, in Kanada zu bleiben, warum lassen Sie sich so
wenig auf unser Land ein? Warum haben Sie so wenig über [317]  uns gelernt? John: es ist manchmal wirklich zum Lachen, wie
wenig Sie sich in Toronto auskennen.«
    Das ist Canon Mackie, wie er leibt und lebt; ich mache mir Sorgen um
einen Krieg, und er macht sich Sorgen, ich könnte verlorengehen, sowie ich
Forest Hill verlasse. Ich spreche davon, daß der wichtigste Vertrag, der
zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten besteht, bald so gut wie
wertlos ist, und er nimmt mich mit meinem Gedächtnis für Geschichtsdaten auf den Arm!
    Jawohl, ich habe ein gutes Gedächtnis für
    geschichtliche Daten. Der 9.   August 1974? Richard Nixon war am Ende. Und am 8.   September 1974? Da wurde ihm Generalpardon gewährt. Und dann der 30.   April
1975: die US -Navy evakuierte das
Botschaftspersonal aus Saigon; das nannte man Operation
Frequent Wind.
    Canon Mackie geht geschickt mit mir um, das muß ich zugeben. Er
weist auf mein Interesse für Geschichte und auf mein Gedächtnis für
Geschichtsdaten hin, um eine mir wohlbekannte These aufzustellen: daß ich in
der Vergangenheit lebe. Er bringt mich dazu, darüber nachzudenken, ob meine Sehnsucht
nach den Gesprächen mit Canon Campbell nicht ebenfalls ein Hinweis darauf ist,
wie sehr ich in der Vergangenheit lebe; vor Jahren, als ich mich Canon Campbell
so nahe fühlte, lebte ich nicht so weit in der Vergangenheit – oder aber, was
wir jetzt Vergangenheit nennen, war damals Gegenwart; es war die Gegenwart, die
Canon Campbell und ich teilten, und wir waren beide in sie verstrickt. Wenn er
noch leben würde, wenn er noch unser Seelsorger wäre, wäre er mir gegenüber
auch nicht verständnisvoller, als es Canon Mackie heute ist.
    Am 21.   Januar 1977 lebte Canon Campbell noch. Das war der Tag, an
dem Präsident Carter eine Amnestie für alle erließ, die sich der Einberufung
entzogen hatten. Was kümmerte mich das? Ich war bereits kanadischer
Staatsbürger.
    Obwohl auch Canon Campbell der Meinung war, ich würde mich zu
schnell erregen, verstand er doch, warum es mich so [318]  ärgerte,
daß uns der Präsident »verzieh«. Ich zeigte ihm den Brief, den ich an Jimmy
Carter geschrieben hatte. »Sehr geehrter Herr Präsident«, hatte ich
geschrieben. »Wer wird den Vereinigten Staaten verzeihen?«
    Wer kann den USA verzeihen? Wie kann man ihnen
Vietnam verzeihen, wie ihr Verhalten in Nicaragua, wie den gigantischen Beitrag
zur Verbreitung von Kernwaffen, den sie ohne jedes Zögern geleistet haben?
    »John, John«, sagte Canon Mackie. »Ihre Bemerkungen zu Weihnachten – auf der Sitzung des Pfarrgemeinderats? Ich glaube, nicht einmal Scrooge hätte
eine Pfarrgemeinderatssitzung als Gelegenheit für eine solche

Weitere Kostenlose Bücher