Owen Meany
antwortete
ich dann mit Owen Meanys Stimme, so gut ich sie hinbekam.
Und meine Großmutter sagte: »Mein Gott, ist er etwa noch da? Ist
dieser komische kleine Kerl immer noch da? Hast du ihn hinter dem Regal
eingeschlossen, Johnny?«
Später in diesem Sommer, als wir zehn waren, erzählte Owen mir,
daß meine Mutter im Steinbruch gewesen war und seine Eltern besucht hatte.
»Was haben sie dir davon erzählt?« wollte ich wissen.
Sie hätten ihm gar nichts gesagt, meinte Owen, doch er wußte, daß
sie dagewesen war. » ICH HAB IHR PARFÜM GEROCHEN «, erklärte
er. »SIE MUSS EINE GANZE WEILE DAGEWESEN SEIN, DENN DER
PARFÜMGERUCH WAR FAST SO STARK WIE BEI EUCH ZU HAUSE. MEINE MUTTER HAT KEIN
PARFÜM«, fügte er hinzu.
Das hätte er mir gar nicht erst zu sagen brauchen. Mrs. Meany ging
nicht nur niemals nach draußen; sie weigerte sich sogar, nach draußen zu schauen. Wenn ich sie an einem der Fenster in Owens Haus
sah, saß sie immer mit dem Profil zum Fenster, fest entschlossen, die Welt da
draußen nicht anzuschauen – und doch steckte eine
seltsame Aussage dahinter: Wie sie so im Profil dasaß, wollte sie vielleicht
andeuten, daß sie der Welt nicht ganz den Rücken gekehrt hatte. Ich vermutete,
daß die Katholiken ihr das [49] angetan hatten;
was es auch war, sicherlich war es ausreichend, um diese nie näher erklärte EMPÖRENDE SCHANDE zu sein, deren Opfer seine Eltern
geworden waren, wie Owen immer sagte. Mrs. Meanys hartnäckige, freiwillige
Gefangenschaft hatte etwas von religiöser Verfolgung an sich – wenn nicht sogar
etwas von ewiger Verdammnis.
»Wie war es bei den Meanys?« fragte ich meine Mutter.
»Haben sie Owen erzählt, daß ich da war?« fragte sie zurück.
»Nein, sie haben ihm nichts gesagt. Er hat dein Parfüm erkannt.«
»Das ist typisch für Owen«, sagte sie mit einem Lächeln. Ich glaube,
sie wußte, daß Owen in sie vernarrt war – alle meine Freunde waren in meine
Mutter vernarrt. Und wenn sie noch so lange gelebt hätte, bis wir zu Teenagern
herangewachsen waren, dann wäre diese Leidenschaft für sie zweifellos noch
tiefer geworden und vollkommen unerträglich – sowohl für meine Freunde als auch
für mich.
Obwohl meine Mutter der Versuchung, der meine Generation erlag,
widerstand – das heißt, sie beherrschte sich und hob Owen nicht hoch –, so
konnte sie es doch nicht lassen, ihn zu berühren. Man mußte Owen einfach
anfassen. Er war ungeheuer niedlich, er hatte die Anziehungskraft eines jungen
Kätzchens – abgesehen von der Nacktheit seiner nahezu durchsichtigen Ohren, die
wie bei einem Nagetier von seinem kantigen Gesicht abstanden. Meine Großmutter
meinte, Owen gleiche einem Fuchsembyro. Wenn man Owen berührte, mied man dabei
immer seine Ohren; sie sahen aus, als würden sie sich kalt anfühlen. Doch nicht
so meine Mutter; sie rubbelte ihm die Ohren warm. Sie umarmte ihn, sie küßte
ihn, sie rieb ihre Nase an seiner. All dies machte sie mit der gleichen
Natürlichkeit wie bei mir, doch sie machte nichts davon mit meinen anderen
Freunden – nicht einmal mit meinen Vettern. Und Owen reagierte sehr positiv
darauf: Manchmal wurde er rot, doch immer lächelte er. Sein charakteristisches,
nahezu [50] ständiges Stirnrunzeln
verschwand; ein verschämtes Strahlen machte sich auf seinem Gesicht breit.
Ich erinnere mich am deutlichsten an ihn, wie er neben meiner Mutter
stand, den Kopf auf einer Höhe mit ihrer jungmädchenhaften Hüfte; wenn er sich
auf die Zehenspitzen stellte, streifte sein Kopf ihre Brust. Wenn sie sich
hinsetzte und er zu ihr hinüberging, um seine üblichen Umarmungen und Küsse zu
empfangen, war sein Kopf auf gleicher Höhe mit ihren Brüsten. Meine Mutter trug
meist enganliegende Pullover; sie hatte eine blendende Figur, und das wußte sie
auch, und sie trug modische Pullover, die das noch betonten.
Ein Maßstab für Owens Ernsthaftigkeit war die Tatsache, daß wir über
die Mütter all unserer Freunde reden konnten, und Owen konnte mir gegenüber
sehr offen seine Bewunderung für meine Mutter ausdrücken; ich ließ es ihm
durchgehen, denn ich wußte, daß er nicht herumalberte. Owen alberte nie herum.
»DEINE MUTTER HAT DIE SCHÖNSTEN BRÜSTE VON ALLEN
MÜTTERN.« Kein anderer Freund hätte das zu mir sagen dürfen, ohne
einen handfesten Streit vom Zaun zu brechen.
»Meinst du das wirklich?« fragte ich ihn.
»GANZ BESTIMMT SIND ES DIE SCHÖNSTEN.«
»Was ist mit Mrs. Wiggin?« wollte ich wissen.
» ZU GROSS «,
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