Owen Meany
nie an den [46] Gottesdiensten
in der Episkopalkirche teilnahm. Es genügte ihm offenbar als Rache an den
Katholiken, daß er Owen dorthin schickte; entweder hielt er es für unnötig, daß
er selbst auch noch teilnahm, oder aber Mr. Meany war von den Katholiken so
schändlich behandelt worden, daß er fortan keinen Kirchenlehren mehr Gehör schenkte.
Auch das Thema Gravesend Academy stieß, wie meine Mutter wußte, bei
ihm auf taube Ohren. »Es gibt die Interessen der Stadt«, so sagte er einmal auf
einer Bürgerversammlung, »und es gibt die Interessen von denen.« Womit er auf die Anfrage der Academy anspielte, den Unterlauf
des Squamscott zu verbreitern und eine tiefere Fahrrinne auszubaggern, damit
die Schulmannschaft dort besser rudern konnte. Einige Boote waren bei Ebbe
schon im Schlamm steckengeblieben. Die Stelle, wo die Academy den Fluß
verbreitern wollte, war eine Halbinsel aus sumpfigem Marschland, die an den
Steinbruch von Mr. Meany angrenzte; das Land war völlig unbrauchbar; dennoch
war Mr. Meany, dem es gehörte, verbittert, daß die Academy diesen Teil
wegbaggern wollte – »nur damit die da rudern können!« wie er sagte.
»Wir reden über Schlamm, nicht über Granit«, hatte ein Mitglied der
Academy bemerkt.
»Ich rede über uns und die !« war Mr.
Meanys unbeherrschte, lautstarke Antwort in der Bürgerversammlung gewesen, die
einen gewissen Berühmtheitsgrad erreichte. Damit eine Bürgerversammlung in
Gravesend berühmt wird, bedarf es nur eines anständigen Streits. Der Squamscott wurde verbreitert, die Fahrrinne ausgebaggert.
Wenn es sich nur um Schlamm handelte, so der Beschluß der Stadtverwaltung, war
es egal, wem er gehörte.
»Du gehst auf die Academy, Owen«, sagte meine Mutter zu ihm, »und
damit basta. Wenn es je einen Schüler gab, der an eine anständige Schule
gehört, dann bist du das – die Schule ist genau auf dich zugeschnitten, und auf
keinen sonst.«
»WIR HABEN EINE GUTE TAT VERSÄUMT «, bemerkte Owen [47] mißmutig, »DER MANN, DER
DAS KIRCHENDACH DECKEN WOLLTE, HÄTTE HILFE GEBRAUCHT.«
»Widersprich mir nicht«, erwiderte meine Mutter. »Du gehst auf die
Academy, und wenn ich dich adoptieren muß. Ich werde dich sogar kidnappen, wenn’s nicht anders geht«, fügte sie hinzu.
Doch es hat auf dieser Erde noch nie einen Menschen gegeben, der so
starrköpfig war wie Owen Meany; er wartete schweigend eine Meile ab, und dann
meinte er: »NEIN, ES GEHT NICHT.«
Die Gravesend Academy wurde 1781 von Rev. Emery Hurd gegründet,
einem Glaubensbruder des alten Wheelwright, einem kinderlosen Puritaner, der – nach
Walls History of Gravesend – »über ein gewaltiges
Talent verfügte, über das Lernen zu reden und seine glückliche Tendenz,
Tugendhaftigkeit und Gottgefälligkeit zu fördern«. Was hätte Rev. Mr. Hurd wohl
von Owen Meany gehalten? Hurd hatte eine Academy im Sinn, in der »kein
bösartiger Bengel, der seine Mitschüler anstecken kann, auch nur eine Stunde
verweilen darf«, in der sich »der Schüler der Kunst des Ruderns befleißigen«
und von Herzen und unter Schweiß lernen soll!
Den Rest seines Vermögens hinterließ Emery Hurd für »die Erziehung
und Christianisierung der Indianer«. Es hieß, Rev. Mr. Hurd sei in seinen
letzten Jahren – stets darauf bedacht, daß sich die Gravesend Academy »frommen
und wohltätigen Zielen« verschrieb – durch die Water Street, eine der Hauptstraßen
von Gravesend, patrouilliert und habe nach jugendlichen Taugenichtsen Ausschau
gehalten: besonders nach jungen Männern, die nicht den Hut vor ihm zogen, und
nach jungen Damen, die keinen Knicks vor ihm machten. Für solch eine
Beleidigung hielt Emery Hurd ihnen eine Standpauke und sagte, sie könnten sich
ruhig ein Stück von ihm abschneiden; gegen Ende waren dann von seinem Geist nur
noch Stücke übrig.
Auch meine Großmutter verlor ihren Geist Stück für Stück; als [48] sie so alt war, daß sie sich an fast gar nichts
mehr erinnerte – mit Sicherheit nicht an Owen Meany, ja nicht einmal mehr an
mich – hielt sie gelegentlich Tiraden vor versammeltem Wohnzimmer. »Wo sind die
Zeiten geblieben, als man noch den Hut gezogen hat?« klagte sie. »Warum machen die
Männer keine Diener mehr?« jammerte sie. »Wer macht heute schon noch einen
Knicks?«
»Du hast ja recht, Großmutter«, beruhigte ich sie immer.
»Ach, was weißt du denn schon?« keifte sie mich an. »Wer bist du
überhaupt?« fragte sie mich.
»ER IST IHR ENKEL JOHNNY «,
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