Owen Meany
Theater. Maureen Early war
eine Träumerin, die sich in ihrem Sitz wand – wenn sie sah, wie ihr Vater es
beim Schauspielen wieder einmal übertrieb, oder wenn sie sah, wie Owen mit
einem schnellen Lauf über das ganze Feld einen Sonderpunkt holte. Ich erinnerte
mich daran, daß sie in der obersten Reihe gesessen, sich neben Caroline O’Day
gewunden hatte, deren Vater Chevrolet-Vertragshändler war. Caroline O’Day war
eines der wenigen Schulmädchen, das die Uniform der katholischen St. Michael’s
School – den Faltenrock und die passenden burgunderroten Kniestrümpfe – so zu
tragen verstand, als sei sie eine Bedienung in einer zwielichtigen Bar. Jungen
gegenüber war Caroline O’Day höchst aggressiv, und Maureen Early fühlte sich
hauptsächlich deshalb wohl in ihrer Gesellschaft, weil Mr. Early die O’Days für
vulgär hielt. Es hatte Mr. Early nicht gepaßt, daß Carolines Vater, Larry
O’Day, die Rolle von Bob Cratchit ergattert hatte; doch Mr. O’Day war jünger
als Mr. Early und sah auch besser aus, und Dan Needham wußte, daß die
Verwegenheit eines Chevy-Verkäufers den Versuchen von Mr. Early, aus Bob
Cratchit einen King Lear zu machen, vorzuziehen war.
Wie gut hatte ich die beiden an jenem Sommertag in Erinnerung – Maureen Early und Caroline O’Day – wie hatten sie gelacht und sich auf ihren
Sitzen gewunden, als Owen mit Schlagen drankam.
Was für eine Macht hatte ich entdeckt! Ich war sicher, daß ich diese
Holzbänke füllen konnte – eines Tages, das wußte ich, konnte ich jeden
einzelnen »sehen«, der dagewesen war; ich [337] konnte
diesen besonderen Menschen, dem meine Mutter zugewinkt hatte, am Ende doch noch
finden.
Mr. Arthur Dowling war auch dagewesen; ich konnte sehen, wie er mit
einer Hand seine Augen vor der Sonne schützte und mit der anderen die Augen
seiner Frau – er umsorgte sie immer so. Arthur Dowling schaute sich Ein Weihnachtslied an, weil seine Frau, das eifrigste
Mitglied des Stadtbüchereiausschusses, ihr humorloses Wesen durch die lästige
Pflicht quälte, den Geist der vergangenen Weihnacht zu spielen. Amanda Dowling
war eine Vorreiterin der Frauenbewegung; sie trug Männerkleidung – »schick
angezogen« fühlte sie sich in Jackett und Schlips – und wenn sie rauchte, blies
sie den Männern den Rauch ins Gesicht, um ihnen ihr Verhalten gegenüber Frauen
mit gleicher Münze heimzuzahlen. Amanda und ihr Mann waren stets darauf
bedacht, die geschlechtlichen Stereotypen umzukehren, und zwar so eifrig und so
bewußt wie nur irgend möglich – deshalb trug er oft beim Einkaufen eine
Schürze; deshalb war ihr Haar kürzer als seines, abgesehen von den Beinen und
Achselhöhlen, wo sie es wachsen ließ. Es gab bestimmte positiv bewertete
Begriffe in ihrem Wortschatz – darunter das Wort »europäisch«; Frauen, die sich
die Achselhöhlen und Beine nicht rasierten, waren »europäischer« als
amerikanische Frauen, und das war ein unbestrittener Vorteil für sie.
Sie hatten keine Kinder – Dan Needham vermutete, daß sie ihre
Geschlechterrolle so weit »umgekehrt« hatten, daß das Kinderkriegen schwierig
wurde – und wenn sie bei den Baseballspielen der Schülermannschaften zusahen,
kritisierten sie diesen Sport unentwegt: daß Mädchen bei diesen Spielen nicht
mitmachen durften, war ein Beispiel für stereotypes Rollendenken, das immer
wieder Anlaß für sie war, ihre Humorlosigkeit und Wut zu demonstrieren. Wenn sie einmal eine Tochter haben würden, drohten sie, dann
würde diese Tochter in der Schülermannschaft mitspielen. Sie waren ein Paar,
das ein Thema hatte – leider war es ihr einziges Thema, und ein beschränktes
obendrein, und sie ritten [338] ständig darauf
herum; doch ein junges Paar mit einer solch feurigen Mission war recht
interessant für die gemeinhin langsamen, alles hinnehmenden Menschen, die in
Gravesend in der Überzahl waren. Mr. Chickering, unser dicker Trainer, lebte in
Angst und Schrecken vor dem Tag, an dem die Dowlings eine Tochter in die Welt
setzten. Mr. Chickering war noch von der alten Schule – seiner Meinung nach
sollten nur Jungen Baseball spielen, und Mädchen sollten ihnen beim Spielen
zuschauen oder Softball spielen.
Wie viele Kleinstadt-Weltverbesserer waren die Dowlings so reich, daß
sie unabhängig waren; er arbeitete in der Tat überhaupt nichts – abgesehen
davon, daß er ein nimmermüder Innendekorateur seines gut ausgestatteten Hauses
und ein Manikürkünstler war, wenn es um
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