Owen Meany
für sie, und was Lydia am Weihnachtsabend brauche, sei Gesellschaft. Genau das, meinte Dan höflich, brauche auch
sie, Großmutter, und aus diesem Grunde wolle er, daß sie sich Ein Weihnachtslied ansehe und danach noch ein wenig die
festliche Atmosphäre der Schauspielerfeier genieße. Da ihm meine Großmutter die
Benutzung unseres Hauses in der Front Street verwehrt hatte, hatte Dan den
ganzen zweiten Stock von Waterhouse Hall dekoriert – und einige der weniger
verwahrlosten Zimmer von Schülern sowie den Gemeinschaftsraum für die Gäste
aufgeschlossen; in seiner eigenen kleinen Wohnung war einfach nicht genug
Platz. Er hatte den Brinker-Smiths Bescheid gegeben, daß es zwei Stockwerke
über ihnen vielleicht etwas lauter zugehen würde; sie könnten gerne mitfeiern
oder den Zwillingen Watte in die Ohren stopfen, ganz nach Belieben.
Großmutter beliebte auf keinen von Dans Vorschlägen [330] einzugehen, doch Dans Bemühungen, sie dazu zu
bringen, ihre altbackene, ungesellige Mürrischkeit einmal zu überwinden,
gefielen ihr, und sie erklärte sich schließlich bereit, zur Aufführung zu
gehen; was die Feier anbelangte, so würde sie sehen, wie sie sich nach dem
Theaterstück fühlte. Und so oblag sie mir: die Aufgabe, Großmutter zur letzten
Abendvorstellung von Ein Weihnachtslied in der
Stadthalle von Gravesend zu eskortieren. Ich traf auf dem Weg alle nur
möglichen Vorsichtsmaßnahmen, damit Großmutter sich nicht die Hüfte brach – obwohl auf allen Bürgersteigen Sand gestreut war, es nicht mehr geschneit
hatte, und der gebohnerte Holzboden der alten Stadthalle glatter war als alle
Flächen, die Großmutter draußen antreffen konnte.
Die Scharniere der alten Sitze quietschten unisono, als ich Harriet
Wheelwright zu einem der begehrten Plätze in der dritten Reihe direkt am
Mittelgang geleitete und sich die Köpfe der Stadtbewohner auf eine Weise
reckten wie die einer Kirchengemeinde, die die Braut sehen will – denn meine
Großmutter betrat das Theater, als würde sie nach ihrer längst vergangenen
Vorstellung in Maughams Finden Sie, daß Constanze sich
richtig verhält ? noch einmal auf die Bühne gerufen. Harriet Wheelwright
hatte ein Talent für hoheitliches Auftreten. Es gab sogar vereinzelten Applaus,
den Großmutter mit einem gezielten Blick zum Schweigen brachte; Respekt, in
Form von Ehrfurcht – vorzugsweise in Form von stiller Ehrfurcht – schätzte sie durchaus, doch lauter Applaus erschien ihr unter den
gegebenen Umständen geradezu vulgär.
Es dauerte volle fünf Minuten, bis sie bequem saß – den Nerzmantel
ausgezogen und über die Schultern drapiert, den Schal gelockert hatte, jedoch
so, daß er noch den Nacken vor Zugluft schützte (die immer von hinten kam);
ohne den Hut abzunehmen, obwohl niemand, der hinter ihr saß, darüber
hinwegsehen konnte (bereitwillig rückten die Herren auf diesen Plätzen ein
Stückchen weiter). Schließlich konnte ich mich dann hinter die [331] Bühne verdrücken, wo ich mich bereits an die Aura
vergeistigter Stille gewöhnt hatte, die Owen Meany am Schminktisch umgab.
Das Trauma des Krippenspiels stand in seinen Augen wie der Tod eines
nahen Verwandten; seine Erkältung hatte sich tief in der Brust festgesetzt, und
das Fieber bereitete ihm Wechselbäder – erst glühte er, dann schwitzte er, dann
fror er. Er brauchte nur wenig Tusche, um die dunklen Ränder unter den Augen zu
verstärken, und durch die allabendliche, übermäßige Anwendung von Babypuder – sein Gesicht war ohnehin so weiß wie das einer Porzellanpuppe – war sein
Schminktisch mit einem weißen Film, fein wie Gipspulver, bedeckt, in den Owen
mit dem Finger seinen Namen schrieb, in quadratischen Großbuchstaben, einem
Stil, wie er im Meany Monument Shop bevorzugt wurde.
Owen hatte keinerlei Erklärung abgegeben, warum ihn die Anwesenheit
seiner Eltern beim Krippenspiel so verletzt hatte. Als ich ihm sagte, seine
Reaktion darauf sei etwas zu radikal und hart gewesen, tat er dies auf seine
übliche Weise, die er mittlerweile perfekt beherrschte, ab – indem er mir
verzieh, daß ich bestimmte Dinge nicht wissen konnte, die er mir auch nie
erklären würde: jene EMPÖRENDE SCHANDTAT , die die
Katholiken begangen hatten, und die Unfähigkeit seiner Eltern, sich über die RELIGIÖSE VERFOLGUNG zu erheben, die sie erlitten
hatten; doch ich war der Meinung, daß es Owen war, der seine Eltern verfolgte.
Warum sie diese Verfolgung hinnahmen, war mir ein Rätsel.
Meine Position hinter
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