Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Owen Meany – seine Stimme kippte ein
wenig über. Ich nahm an, es liege am Telefon; ich dachte, wir hätten eine
schlechte Verbindung.
    Das war der Tag, an dem die Entweihung der amerikanischen Flagge
zu einem Verbrechen gemacht wurde, das die Bundesbehörden verfolgen. Owen Meany
verbrachte die Nacht des 5.   Juli 1968 in Oakland in einem Zimmer im
Offiziersquartier; am Morgen des sechsten Juli verließ Owen das Armeedepot in
Oakland – und vermerkte in seinem Tagebuch: »DIE SOLDATEN,
DIE FÜR DEN EINSATZ IN FERNOST VORGESEHEN SIND, WERDEN AUFGEFORDERT, SICH VOR
EINER TÜR MIT EINER NUMMER AUFZUSTELLEN, WO IHNEN IHR TARNANZUG UND DAS ANDERE
ZEUGS AUSGEHÄNDIGT WIRD. VOR DEM ABFLUG NACH VIETNAM BEKOMMEN DIE REKRUTEN EIN
ANSTÄNDIGES STEAK ZUM ABENDESSEN. ICH HABE DAS ALLES HIER SCHON ZU OFT GESEHEN:
DIE KRÄNE UND DIE WELLBLECHDÄCHER DER LAGERHÄUSER, UND DIE MÖWEN, DIE ÜBER DIE
FLUGZEUGHANGARS GLEITEN – UND ALL DIE FRISCHGEBACKENEN REKRUTEN, AUF DEM WEG
NACH DRÜBEN, UND DIE LEICHEN, DIE ZURÜCKKOMMEN. SO VIELE GRÜNE SEESÄCKE AUF DEN
GEHSTEIGEN. OB DIE REKRUTEN WOHL WISSEN, WAS IN DEN GRAUEN SPERRHOLZKISTEN
STECKT?«
    Owen vermerkte in seinem Tagebuch, daß er, wie immer, die dreieckige
Pappschachtel erhalten hatte, in der sauber gefaltet die Flagge lag – »WER DENKT SICH DIESE SACHEN AUS? WEISS DERJENIGE, DER DIE
PAPPSCHACHTEL HERSTELLT, WOZU SIE VERWENDET WIRD?« Er erhielt die
Bestattungsformulare und die übliche schwarze Armbinde – er log dem
Angestellten am Ausgabeschalter vor, daß ihm seine Armbinde ins Urinal gefallen
sei, damit er noch eine bekam; er wollte, daß auch ich eine schwarze Armbinde hatte, damit ich ANGEMESSEN
OFFIZIELL wirkte. Etwa zu der Zeit, als meine Maschine in Boston
startete, überprüfte Owen Meany in der Frachthalle des Flughafens von San
Francisco eine Sperrholzkiste.
    [803]  Aus der Luft, beim Flug über
Phoenix, springt einem vor allem das Nichts ins Auge. Was man sieht, ähnelt
einer Mondlandschaft in verschiedenen Brauntönen, nur daß es auch große grüne
Flecken gibt – Golfplätze und anderes gepflegtes Land, auf dem
Bewässerungssysteme installiert sind. Aus den Geologievorlesungen wußte ich,
daß alles dort unten einst ein flacher Ozean gewesen war; und als wir in der
Abenddämmerung in Phoenix ankamen, waren die Felsen rötlichblau wie ein
tropisches Meer, und die Steppenläufer waren aquamarin –, so daß ich mir den
Ozean, der hier einst gewesen war, tatsächlich vorstellen konnte. Genaugenommen
ähnelte Phoenix noch immer einem flachen Meer, gefleckt mit künstlichem Grün
und dem Blau von Swimmingpools. Zehn bis zwanzig Meilen weiter war eine
zackige, teefarbene Bergkette, hier und da mit wächsernen Kalkablagerungen
bedeckt – für einen Neuengländer sahen sie aus wie schmutziger Schnee. Nur daß
es viel zu heiß war für Schnee.
    Obwohl mit Einbruch der Dämmerung die Sonne ihre Intensität
eingebüßt hatte, flimmerte die trockene Hitze über dem Asphalt noch immer;
trotz einer leichten Brise herrschte nach wie vor eine hochofenartige Hitze.
Nach der Hitze bemerkte ich die Palmen – viele wunderschöne, hoch emporragende
Palmen.
    Owens Maschine hatte, wie die Leiche, die er nach Hause begleitete,
Verspätung.
    Ich wartete zusammen mit Männern in Sporthemden und Cowboystiefeln;
die Frauen, von zierlich bis massig, strahlten in ihren Shorts und den
Oberteilen mit Spaghettiträgern Selbstgefälligkeit aus und erzeugten in ihren
Gummisandalen klatschende Geräusche auf dem harten Boden des Flughafengebäudes.
Sowohl die Männer als auch die Frauen waren offensichtlich begeisterte Fans der
örtlichen Schmuckerzeugnisse aus Silber und Türkis.
    Es gab einen Spielsalon, in dem ein junger, sonnengebräunter Soldat
mit grimmigem Unmut einen Flipperautomaten bearbeitete. Die erste
Herrentoilette, die ich entdeckte, war verschlossen, [804]  und
ein Schild besagte: »Vorübergehend außer Betrieb«; doch das Papier war bereits
so vergilbt, daß dieser Hinweis nicht mehr sehr aktuell wirkte. Nach einer
langen Suche, die mich durch stark variierende Stufen vollklimatisierter Kühle
führte, stieß ich auf ein behelfsmäßiges Klo, an dem ein Schild mit der
Aufschrift »Vorübergehende Herrentoilette« hing.
    Zunächst zweifelte ich daran, daß ich hier richtig war; ich befand
mich in einem Raum im Souterrain mit einer riesigen Waschkaue – ich fragte
mich, ob das ein Urinal für Riesen war. Das richtige Urinal war hinter einer
Front von Eimern und

Weitere Kostenlose Bücher