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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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über dem Fluß, und die Raketen
versprühten ihren Feuerzauber – und fielen mit einem Zischen in den schmutzigen
Fluß. Kurz zuvor hatte es ein wenig vorsichtigen Protest durch Umweltschützer
gegeben; jemand meinte, das Feuerwerk störe die Vögel, die im Sumpfgebiet am
gegenüberliegenden Flußufer nisteten. Doch bei einer Auseinandersetzung
zwischen Patrioten und Reihern haben die letzteren wenig Aussicht, den Sieg
davonzutragen; das Bombardement lief ab wie geplant – der Nachthimmel wurde
farbenprächtig in Brand gesetzt, und das Getöse entzückte uns alle.
    Gelegentlich breitete sich weißes Licht wie eine neuentwickelte
flüssige Substanz über die Oberfläche des Squamscott aus und reflektierte von
da so kräftig, daß sich die Silhouette der dunklen Geschäfts- und Bürohäuser
und des großen Gebäudes der stinkenden Textilfabrik gen Himmel erhob – eine
Stadt, die von den donnernden Explosionen geschaffen wurde. Die vielen blanken
Fenster der Textilfabrik warfen dieses Licht zurück – die gigantischen
Dimensionen des Gebäudes und die offensichtliche Leere in ihm ließen an einen
Industriebetrieb denken, der so autark war, daß er keine einzige menschliche
Arbeitskraft mehr benötigte.
    »Wenn Owen mich nicht heiratet, werde ich überhaupt nicht heiraten«,
erklärte mir Hester zwischen Lichtblitzen und [798]  Explosionen.
»Wenn ich nicht von ihm Kinder bekomme, dann von überhaupt niemandem.«
    Einer der Feuerwerksexperten an der Anlegestelle war niemand anderes
als der alte Dynamitfachmann Mr.   Meany. Etwas wie ein explodierender Stern
ergoß sich über den schwarzen Fluß.
    »Das sieht aus wie Sperma«, meinte Hester mißmutig. Ich war nicht
Spermaexperte genug, um Hesters Bildersymbolik in Frage zu stellen; daß ein
Feuerwerk »wie Sperma« aussah, erschien mir reichlich unwahrscheinlich und
ziemlich weit hergeholt –, aber was wußte ich schon?
    Hester war so mürrisch, daß ich nicht über Nacht bei ihr in Durham
bleiben wollte. Es war eine warme Sommernacht, doch es wehte eine leichte
Brise. Ich fuhr in die Front Street und sah mir zusammen mit Großmutter die
Elf-Uhr-Nachrichten an; sie begeisterte sich seit kurzem für einen furchtbaren
Lokalsender, der in den Nachrichten die grauenhaften Details einer Reihe von
Verkehrsunfällen auflistete und den Krieg in Vietnam mit keinem Wort erwähnte;
und es gab eine dieser Geschichten, die das Leben schreibt, von einem
ungezogenen Kind, das einen bedauernswerten Hund mit einem Feuerwerkskörper um
sein Augenlicht gebracht hatte.
    »Grundgütiger Himmel!« war Großmutters Kommentar.
    Als sie zu Bett ging, schaltete ich auf einen Spätfilm um – ein
Sender brachte einen Monsterfilm, The Beast from 20   000
Fathoms, einen von Owens Lieblingsfilmen; auf einem anderen Kanal lief Mother is a Freshman, in dem Loretta Young eine Witwe
spielte, die zusammen mit ihrer Tochter im Teenageralter das College besucht;
doch was mir am besten gefiel, war Ein Amerikaner in Paris, auf einem dritten Kanal. Ich hätte Gene Kelly eine ganze Nacht lang beim Tanzen
zusehen können! Zwischen den Liedern und den Tanzeinlagen schaltete ich zurück
auf den anderen Kanal, wo das prähistorische Monster gerade Manhattan
zerstampfte, oder ich ging hinaus in die Küche und holte mir noch ein Bier.
    [799]  Dort war ich gerade, als das
Telefon klingelte; es war bereits nach Mitternacht, und Owen brachte dem Schlaf
meiner Großmutter so großen Respekt entgegen, daß er nie zu einer Uhrzeit bei
uns anrief, zu der die Gefahr bestand, daß er sie weckte. Zunächst dachte ich,
die verschiedenen Zeitzonen – er war ja in Arizona – hätten ihn
durcheinandergebracht; aber ich wußte, daß er erst bei Hester in Durham und bei
Dan in Waterhouse Hall angerufen hätte, ehe er mich bei Großmutter zu erreichen
versuchte, und ich war sicher, daß Hester oder Dan, oder alle beide, ihm gesagt
hätten, wie spät es war.
    »ICH HOFFE, ICH HABE DEINE GROSSMUTTER NICHT
AUFGEWECKT!« meinte er.
    » Es hat nur einmal geklingelt – ich bin
in der Küche«, beruhigte ich ihn. »Was gibt’s?«
    »DU MUSST DICH BEI IHR FÜR MICH ENTSCHULDIGEN – MORGEN FRÜH«, trug er mir auf. »SAG IHR, DASS
ES MIR SEHR LEID TUT – ABER ES IST EINE ART NOTFALL .«
    »Was ist los?« fragte ich.
    »EINE LEICHE IST IRRTÜMLICH IN KALIFORNIEN GELANDET – MAN HAT GEDACHT, SIE WÄRE IN VIETNAM VERLORENGEGANGEN, ABER DANN IST SIE IN
OAKLAND AUFGETAUCHT. DAS PASSIERT JEDESMAL AN FEIERTAGEN – DA PENNEN DIE IN

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