Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Dick Jarvits vorbei, dem hoch aufgeschossenen, verrückten
Bruder des toten Warrant Officer. Der stand dort im
Schatten.
    Er trug seinen Tarnanzug und hatte einen oder zwei zusätzliche
Patronengurte umgelegt. Obwohl es düster war im Korridor, trug er eine
Schutzbrille von der Art, wie sie seinem Bruder ins Gesicht [845]  geschmolzen war, als sein Hubschrauber in Brand
geriet. Wegen der Schutzbrille konnte ich nicht sagen, ob Dick Owen, mich oder
die Kinder überhaupt sah; doch daraus, daß er den Mund weit aufgerissen hatte,
schloß ich, daß er eben etwas gesehen haben mußte, das ihn überraschte.
    Die sogenannte »Vorübergehende Herrentoilette« war noch genauso, wie
ich sie verlassen hatte. Da standen noch die gleichen Eimer und Schrubber, und
der lange schmale Spiegel lehnte noch immer an der Wand. Das rätselhaft große
Waschbecken verwirrte die Kinder; ein Junge versuchte hineinzupinkeln, doch ich
verwies ihn auf das umdrängte Urinal. Ein anderes Kind wollte in einen der
Eimer pinkeln, doch ich zeigte ihm die Toilette in dem zusammengeschusterten
Sperrholzhäuschen. Owen Meany, der gute Soldat, stand unter dem Fenster; er sah
zur Tür. Ab und zu warf er einen abschätzenden Blick nach oben zu dem
Fensterbrett unter dem kleinen oberlichtartigen Fenster. Owen wirkte unter
diesem Fenster besonders klein, da das Fensterbrett in mindestens drei Meter
Höhe lag – weit über ihm.
    Draußen vor der Tür wartete die Nonne auf ihre Schäfchen.
    Ich half einem der Jungen dabei, den Hosenschlitz zu öffnen; der Reißverschluß
schien für ihn etwas Neues zu sein. Die Kinder quasselten ununterbrochen
vietnamesisch; der schmale Raum mit der hohen Decke – wie ein Sarg, den man
hochkant auf ein Ende gestellt hat – hallte von ihren Stimmen wider.
    Ich habe bereits gesagt, daß ich nicht der Schnellste bin; erst als
ich ihre schrillen, fremdartigen Stimmen hörte, fiel mir Owens Traum wieder
ein. Ich sah, wie er mit locker herabhängenden Armen dastand und zur Tür
blickte.
    »Was ist?« fragte ich ihn.
    »KOMM HIER HERÜBER «, antwortete er. Ich
ging gerade auf ihn zu, als die Tür weit aufgetreten wurde und Dick Jarvits
dastand, beinahe so groß und dünn wie der hohe, schmale Raum; mit beiden Händen
hielt er – behutsam – eine Handgranate.
    [846]  » HALLO, DICK «,
begrüßte ihn Owen Meany.
    »Du kleiner Scbeißkerl !« erwiderte Dick.
Eines der Kinder begann zu schreien; für sie alle waren Männer in Tarnanzügen
wohl nichts Neues, und der kleine Junge, der schrie, hatte wohl auch schon
einmal eine Handgranate gesehen. Zwei oder drei der Kinder begannen zu weinen.
    »DUNG SO«, sagte Owen zu ihnen. » KEINE ANGST «, beruhigte er die Kinder, »DUNG SO, DUNG SO«, wiederholte er. Es lag nicht nur daran, daß er ihre Sprache sprach; es war
seine Stimme, die sie zum Hinhören zwang – es war eine Stimme wie ihre. Deshalb vertrauten sie ihm, deshalb hörten sie auf
ihn. »DUNG SO«, sagte
er, und sie hörten auf zu weinen.
    »Das ist genau der richtige Ort für dich zum Sterben«, sagte Dick zu
Owen. »Mit all den Schlitzaugen, den kleinen gelben Scheißkerlen!«
    »NAM XUONG!« sagte Owen zu den Kindern. »NAM XUONG! HINLEGEN !« Selbst der kleinste Vietnamese verstand
ihn. » HINLEGEN !« befahl ihnen Owen. »NAM XUONG! NAM XUONG!« Alle Kinder warfen sich zu Boden –, sie hielten sich die Ohren zu, schlossen
die Augen.
    » JETZT IST MIR KLAR, WARUM SICH MEINE STIMME NICHT
VERÄNDERT HAT «, sagte Owen zu mir. » VERSTEHST DU’S
JETZT AUCH ?«
    »Ja«, antwortete ich.
    » WIR HABEN GENAU VIER SEKUNDEN «,
erklärte mir Owen ruhig. » DU WIRST NIE NACH VIETNAM KOMMEN,
DICK «, sagte Owen zu dem schrecklichen, großen Jungen, der jetzt
die Abzugsschnur zog und die flaschenförmige Granate genau auf mich warf.
    »Jetzt laß dir was einfallen – du Penner!« rief er mir zu.
    Ich fing die Granate, obwohl sie schwieriger zu fassen war als ein
Basketball – ich hatte Glück. Dann sah ich Owen an, der bereits auf mich zukam.
    » FERTIG ?« fragte er; ich warf ihm die
Handgranate zu und [847]  streckte die Hände vor,
um ihn aufzufangen. Er sprang mir behende in die Arme; ich hob ihn hoch – so
mühelos, wie ich ihn immer hochgehoben hatte.
    Schließlich hatte ich es ein Leben lang geübt, Owen Meany
hochzuheben.
    Der Nonne, die draußen vor der »Vorübergehenden Herrentoilette« auf
die Kinder gewartet hatte, hatte Dicks Aufzug nicht gefallen; sie war
losgelaufen, um die anderen Soldaten zu holen. Major

Weitere Kostenlose Bücher