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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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seine Gestalt auf dem Fahrrad sah, bemüht, den
Maiden Hill hinaufzuradeln; und ich sah, wie er immer langsamer wurde und
schließlich absteigen und das Rad schieben mußte. An diesem Tag bekam ich einen
Schlechtwettereindruck davon, wie Owen an jenem warmen Sommerabend ausgesehen
haben mußte, als er nach dem Baseballspiel gegen den Hügel ankämpfte – in
seinem Baseballtrikot. Was würde er seinen Eltern von dem Spiel erzählen?
    Ich brauchte Jahre, ehe ich mich daran erinnern konnte, wie ich zu der
Entscheidung darüber gelangte, ob ich die Nacht nach diesem tödlichen
Baseballspiel bei Dan Needham verbringen sollte, in der Wohnung, in die wir
drei nach ihrer Hochzeit gezogen waren (es war eine Lehrerwohnung im Internat),
oder ob ich nicht doch lieber diese schreckliche Nacht in meinem alten Zimmer
in Großmutters Haus in der Front Street bleiben sollte. Es [119]  gibt so viele Details, die mit diesem Spiel
zusammenhängen, an die ich mich erst Jahre später erinnern konnte!
    Jedenfalls einigten sich Dan Needham und Großmutter darauf, daß es
für mich das beste sei, diese Nacht in der Front Street zu verbringen, und so
wachte ich am nächsten Morgen nicht nur nach viel zuwenig Schlaf auf und
erkannte nur langsam, daß der Traum, in dem meine Mutter mit einem Baseball,
den Owen Meany geschlagen hatte, getötet wurde, kein Traum war – sondern wußte obendrein nicht einmal sofort, wo ich war. Ich kam
mir vor wie jemand in einem Science-fiction-Film, der in die Vergangenheit
gereist ist –, denn ich war mittlerweile daran gewöhnt, in meinem Zimmer in Dan
Needhams Wohnung aufzuwachen.
    Und als ob all das noch nicht verwirrend genug gewesen wäre, vernahm
ich ein Geräusch, das ich noch nie mit unserem Haus in der Front Street in
Verbindung gebracht hatte; es war ein Geräusch in der Auffahrt, und da die
Fenster meines Zimmers nicht auf die Auffahrt hinausgingen, mußte ich aufstehen
und auf den Flur gehen, um zu sehen, woher das Geräusch kam. Ich war ziemlich
sicher, daß ich es eh wußte. Dieses Geräusch hatte ich schon oft in Mr.   Meanys
Steinbruch gehört; es war der unverwechselbare erste Gang des großen LKW – des Lasters, mit dem Mr.   Meany die
Granitplatten, die Bordsteinkanten, die Ecksteine und die Grabsteine
transportierte. Und ganz sicher stand dieser Laster von der Meany Granite
Company jetzt in der Auffahrt zu Großmutters Haus – in die er nur knapp
hineinpaßte – und war mit Granit und Grabsteinen beladen.
    Ich konnte mir Großmutters Empörung genau vorstellen – falls sie
aufgestanden war und den Laster da stehen sah. Ich konnte sie direkt hören:
»Wie unglaublich taktlos dieser Mensch doch ist! Da ist meine Tochter noch
nicht einen Tag tot, und was macht er – bringt uns einen Grabstein?
Wahrscheinlich hat er den Namen schon eingraviert!« Genau das dachte ich nämlich.
    Doch Mr.   Meany stieg nicht aus der Fahrerkabine. Owen [120]  kletterte aus der Beifahrertür, ging nach hinten
zur Ladefläche und holte mehrere große Kartons herunter; diese Kartons waren
ganz offensichtlich nicht voller Granit, sonst hätte Owen sie nicht alleine
herunterheben können. Doch er schaffte es, und er trug all diese Kartons zu der
Stufe am Hintereingang, wo er sicherlich klingeln würde. Ich konnte noch immer
seine Stimme hören, die » ES TUT MIR LEID !« sagte – während mein
Kopf unter Mr.   Chickerings Trainingsjacke steckte – und so sehr ich Owen sehen
wollte, wußte ich doch, daß ich auf der Stelle in Tränen ausbrechen würde, wenn
er etwas sagte oder ich etwas sagen mußte. Und deshalb war ich erleichtert, als
er nicht klingelte; er stellte die Kartons am Hintereingang ab und rannte
schnell zur Fahrerkabine, und Mr.   Meany fuhr mit dem riesigen Laster wieder
davon, immer noch im ersten Gang.
    In den Kartons waren Owens Baseballkarten, seine komplette Sammlung.
Meine Großmutter war entsetzt, doch sie brauchte Jahre, ehe sie Owen verstand
und ihm Wohlwollen entgegenbrachte; damals war er für sie »dieses Kind« oder
»dieser kleine Junge« oder »diese Stimme«. Ich wußte, daß Owen sehr an den
Baseballkarten hing, sie waren sein einziger Schatz – ich konnte ihm sofort
nachfühlen, wie sehr sich für ihn alles, was Baseball anbelangte, verändert
hatte, so wie es sich auch für mich verändert hatte (obwohl ich das Spiel nie
so sehr gemocht hatte wie Owen). Ohne mit Owen darüber zu sprechen, wußte ich,
daß wir beide nie wieder Baseball spielen würden, und daß noch ein

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