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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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weil sie auf diese
Weise wohl verraten hatte, wo sie steckte – zumindest die grobe Richtung. Dann
herrschte Stille. Ich wußte, was Owen tat; er hoffte, seine Augen würden sich
an die Dunkelheit gewöhnen, ehe Hester ihn fand, und er würde sich nicht eher
bewegen – um sie zu suchen – bis er ein bißchen was sehen konnte.
    »Was ist denn da drin los?« fragte Simon, doch kein Laut drang
heraus.
    Dann hörten wir, wie ein paar von Großvaters Schuhen umfielen. Dann
Stille. Dann wieder ein leises Hin und Her von Schuhen. Wie ich später erfuhr,
krabbelte Owen auf allen vieren, denn was er am meisten fürchtete – und
erwartete, war ein Angriff von oben, von einem der oberen Fächer aus. Er konnte
nicht wissen, daß Hester sich auf den Boden gelegt und mit einem von Großvaters
Überziehern zugedeckt hatte, auf dem sie dann mehrere Schuhpaare drapiert
hatte. Sie lag stocksteif da und war – bis auf Hände und Haare – unsichtbar.
Doch ihr Kopf lag in der falschen Richtung, und so mußte sie den Kopf und die
Augen verdrehen, um zu [112]  sehen, wie Owen
näherkam, mußte über die eigene Stirn und den dichten Haaransatz hinwegschauen.
Was Owen als erstes berührte, als er sich ihr auf allen Vieren näherte, war das
weiche und wellige Gewirr von Hesters Haaren, die sich plötzlich unter seiner
kleinen Hand bewegten – und Hester streckte die Arme über den Kopf nach hinten
und packte Owen um die Hüften.
    Zu ihrer Verteidigung muß gesagt werden, daß Hester nicht im
entferntesten daran gedacht hatte, Owen an seinem Doink zu ziehen; doch da es so einfach für sie war, ihn an den Hüften festzuhalten,
beschloß sie, nach seinen Rippen zu tasten und ihn zu kitzeln. Owen wirkte, als
sei er durchaus empfänglich für Kitzeln, was auch stimmte, und Hester hatte,
ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, nur die besten Absichten; doch für Owen,
der nicht nur im Dunkeln mit seiner Hand auf lebendiges Haar gestoßen war,
sondern jetzt auch noch von einem Mädchen gekitzelt wurde, das, wie er annehmen
mußte, ihn eigentlich nur kitzelte, um dann nach seinem Doink grabschen zu können, war das alles zu viel; er machte in die Hose.
    Hester merkte blitzschnell, was passiert war, und war so überrascht
von Owens Mißgeschick, daß sie ihn losließ. Er fiel auf sie, strampelte sich
frei, rannte aus dem Schrank, verschwand durch die Tür und raste die Treppe
hinunter. Owen rannte so schnell und geräuschlos durchs Haus, daß ihn nicht
einmal meine Großmutter bemerkte; und hätte meine Mutter nicht zufällig aus dem
Küchenfenster geschaut, hätte auch sie nicht gesehen, wie er – mit wehender
Jacke, losen Schnürsenkeln und die Mütze schief auf den Kopf gedrückt – auf
sein Fahrrad stieg, was ihm bei dem eisigen Wind einige Schwierigkeiten
bereitete.
    »Gott noch mal, Hester!« sagte Noah. »Was hast du denn mit ihm
gemacht?«
    »Ich weiß, was sie mit ihm gemacht hat!« verkündete Simon.
    »Das nicht«, entgegnete Hester schlicht. »Ich hab ihn nur gekitzelt,
und da hat er in die Hose gemacht.« Sie sagte das nicht, um [113]  Owen bloßzustellen, und – ein Beweis dafür, daß
meine Vettern im Grunde anständige Kerle waren – diese Nachricht wurde auch
nicht mit den üblichen Rüpeleien aufgenommen, an die ich im Zusammenhang mit
Sawyer Depot automatisch dachte, wie an Skilaufen mit Zusammenstößen in allen
Varianten.
    »Der arme kleine Kerl!« meinte Simon.
    »Das hab ich nicht gewollt«, sagte Hester.
    Meine Mutter rief nach mir, und ich mußte zu ihr gehen und ihr
erzählen, was mit Owen los war, worauf sie mir sofort sagte, ich solle mir eine
Jacke anziehen, während sie hinausging und das Auto anließ. Ich dachte, ich
wüßte, welchen Weg Owen nach Hause nehmen würde, aber er muß kräftig in die
Pedale getreten haben, denn bis zum Gaswerk in der Water Street überholten wir
ihn nicht, und als wir auch durch die Dewey Street fuhren, ohne ihn zu
entdecken – und ihn in der Salem Street auch nicht zu Gesicht bekamen – dachte
ich mir, daß er vielleicht über den Swasey Parkway aus der Stadt hinausgeradelt
war. Also kehrten wir um und fuhren am Squamscott entlang, doch da war er auch
nicht.
    Schließlich fanden wir ihn doch, schon außerhalb der Stadt, wie er
sich den Maiden Hill hinaufarbeitete; wir fuhren langsamer, als wir seine
schwarz-rot karierte Holzfällerjacke und die ebenfalls karierte Mütze mit den
beiden Ohrenklappen sahen, und als wir neben ihm anhielten, war er völlig aus
der Puste und

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