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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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notwendiges
Ritual vor uns lag – wir mußten die Schläger und die Handschuhe und die Trikots
wegwerfen, und jeden Baseball, den wir in Haus und Garten fanden (außer diesem einen Baseball, von dem ich annahm, daß Owen ihn zu einem
Museumsstück in seinem Zimmer gemacht hatte).
    Doch ich mußte mit Dan Needham über diese Baseballkarten reden, denn
sie waren Owens wertvollster Besitz – sein einziger Schatz – und da Baseball
nach dem Unfall meiner Mutter zu einem [121]  tödlichen
Spiel geworden war, was erwartete Owen da wohl von mir, was sollte ich nun mit
den Karten tun? Sollten sie mir nur zeigen, daß er diesem Spiel, das alle
Amerikaner lieben, den Rücken kehrte, oder sollte es meine Trauer lindern, daß
ich mich dem Vergnügen hingeben konnte, all diese Baseballkarten zu verbrennen ?An diesem Tag hätte
ich sie liebend gern verbrannt.
    »Er will, daß du sie ihm zurückgibst«, sagte Dan Needham.
    Ich wußte von Anfang an, daß meine Mutter mit ihm einen Glücksgriff
getan hatte, aber erst am Tag nach ihrem Tod erkannte ich, daß Dan nicht nur
lieb und gut, sondern auch klug war. Natürlich erwartete Owen genau das von
mir: Er hatte mir seine Baseballkarten gegeben, um mir zu zeigen, wie leid ihm
das Ganze tat, und wie sehr auch er darunter litt – denn Owen liebte meine
Mutter fast genausosehr wie ich, da war ich sicher, und indem er mir all seine
Karten gab, zeigte er mir, daß er mich so gern hatte, daß er mir seine tolle
Sammlung anvertraute. Aber natürlich wollte er die Karten zurückhaben!
    Dan Needham sagte: »Gucken wir uns doch mal ein paar an. Ich bin
sicher, sie sind alle irgendwie geordnet – auch in diesen Kartons.« Und er
hatte recht – wir kamen nicht auf das genaue System, nach dem er sie geordnet
hatte, denn es war zu ausgefeilt; alle Spieler steckten in alphabetischer
Reihenfolge hintereinander, aber die Schlagmänner, die bekannten, waren in einer Gruppe für sich zusammengesteckt, ebenso die
Spitzenfeldmänner; und auch die Werfer waren getrennt eingeordnet. Es schien
sogar ein Untersystem zu geben, nach dem Alter der Spieler; doch Dan und ich
hatten Mühe, uns die Karten lange anzusehen – zu viele der Spieler, die in die
Kamera lächelten, hatten ihren todbringenden Schläger lässig über die Schulter
gelegt.
    Ich kenne viele Menschen heutzutage, die instinktiv zusammenzucken,
wenn sie ein Geräusch hören, das auch nur ganz entfernt an einen Gewehrschuß
oder an eine Bombe erinnert – eine Fehlzündung beim Auto, der Griff eines
Besens oder einer [122]  Schaufel, der auf einen
Zement- oder Linoleumboden knallt, oder wenn ein Kind einen Knaller in einer
leeren Mülltonne loskrachen läßt; dann legen meine Freunde die Arme schützend
über den Kopf, rechnen (wie wir alle heutzutage) mit einem Terroranschlag oder
einem Amokläufer. Bei mir jedoch war das anders, und erst recht bei Owen Meany.
Nur wegen einem miesen Baseballspiel, wegen einem unglücklichen Treffer – mit
dem sowieso niemand gerechnet hatte –, nur wegen einem lausigen Fehlschlag
unter Millionen anderer sollten Owen Meany und ich in Zukunft bei einem
anderen, einem schußähnlichen Geräusch instinktiv zusammenzucken: bei dem
beliebten, für den amerikanischen Sommer typischen Knall, mit dem der Schläger
auf den Baseball trifft.
    Also befolgte ich, wie so oft, Dan Needhams Rat. Wir packten die
Kartons mit Owens Baseballkarten ins Auto und überlegten uns, wann es wohl am
günstigsten wäre, zur Meany Granite Company hinauszufahren – so, daß wir nicht
unbedingt auf Mr.   Meany treffen oder Mrs.   Meanys grimmiges Profil hinter einem
der Fenster in Unruhe versetzen würden oder gar mit Owen selbst reden mußten.
Dan wußte, daß ich Owen sehr gern hatte und daß ich mit ihm reden wollte – mehr
als mit allen anderen –, doch daß es ein Gespräch war, das wir, zu Owens Bestem
und auch zu meinem eigenen, wohl noch ein wenig aufschieben sollten. Ehe wir
damit fertig waren, die Baseballkarten ins Auto zu tragen, fragte mich jedoch
Dan Needham: »Und was gibst du ihm ?«
    »Was?« Ich verstand nicht.
    »Um ihm zu zeigen, wie sehr du ihn magst«, sagte Dan Needham. »Genau
das hat er dir gezeigt. Und was hast du ihm zu geben?«
    Natürlich wußte ich, womit ich Owen zeigen konnte, wie sehr ich ihn
mochte; ich wußte, was ihm mein Gürteltier bedeutete, aber es war mir
unangenehm, ihm das Tier vor den Augen von Dan, von dem ich es bekommen hatte,
zu »geben« – und wenn Owen es mir nicht zurückgab?

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