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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Hoffnung, daß er es mir
zurückgeben würde – und all das nur, weil es uns unmöglich war, einander zu
sagen, wie wir wirklich fühlten. Was für ein Gefühl war es, einen Ball so feste
zu schlagen – und dann zu erkennen, daß dieser Ball die Mutter des besten
Freundes tötete? Was für ein Gefühl war es, seine Mutter ausgestreckt auf dem
Gras liegen zu sehen, und diesen idiotischen Polizisten zu hören, der sich über
den fehlenden [126]  Ball beschwerte – und diesen
blöden Ball »das Todeswerkzeug« und »die Mordwaffe« nannte? Owen und ich hätten
nicht über diese Dinge reden können – zumindest nicht
damals. Also gaben wir einander unsere Lieblingssachen und hofften, sie
zurückzubekommen. Wenn man darüber nachdenkt, dann ist das gar nicht so dumm.
    Nach meiner Rechnung war Owen mit der Rückgabe des Gürteltieres
einen Tag im Verzug; er behielt es zwei Nächte lang, was meiner Ansicht nach
eine Nacht zuviel war. Doch er gab es mir zurück. Wieder hörte ich den ersten
Gang des Granitlasters; wieder wurde etwas am frühen Morgen in der Front Street
abgeladen, ehe Mr.   Meany mit seinem schweren Tagewerk begann. Und auf der Stufe
an der Hintertür standen die gleichen braunen Papiertüten, die ich benutzt
hatte; ich dachte, es sei nicht ganz ungefährlich, das Gürteltier draußen auf
der Stufe stehenzulassen, wenn man den ungezügelten Appetit des Labradorrüden
unseres Nachbarn, Mr.   Fish, in Betracht zog. Dann fiel mir wieder ein, daß
Sagamore ja tot war.
    Doch meine größte Empörung sollte noch kommen: was dem Gürteltier
fehlte, waren die vorderen Krallen – die nützlichsten und beeindruckendsten
Teile seines seltsamen Körpers. Owen hatte mir das Gürteltier zurückgegeben,
doch die Krallen hatte er behalten!
    Nun – Freundschaft ist eine Sache, das Gürteltier eine ganze andere;
nach dieser Entdeckung war ich so empört, daß ich mit Dan Needham reden mußte.
Wie immer nahm er sich Zeit für mich. Er saß auf meiner Bettkante, während ich
schniefte; ohne die Krallen konnte das Tier nicht mehr aufrecht stehen – nicht,
ohne nach vorn zu kippen und sich auf die Schnauze abzustützen. Es gab einfach
keine Position, in die ich das Gürteltier bringen konnte, ohne daß es einen
flehenden Ausdruck hatte – oder wie ein bedauernswerter Krüppel wirkte. Ich war
völlig verstört, wie mein bester Freund mir nur so etwas antun konnte, bis Dan
Needham mir [127]  erklärte, genauso empfinde Owen
eben, was er mir und auch sich selbst angetan hatte: daß wir nach dem, was
geschehen war, beide verkrüppelt und verstümmelt waren.
    »Dein Freund ist wirklich ein heller Kopf«, sagte Dan Needham voller
Respekt. »Verstehst du das nicht, Johnny? Wenn er könnte, würde er sich für
dich die Hand abhacken – so fühlt er sich, weil er
diesen Baseballschläger angerührt hat, weil er den Ball geschlagen hat, mit
diesem Ergebnis. So fühlen wir uns alle – du und ich
und auch Owen. Wir haben ein Stück von uns selbst verloren.« Und Dan hob das
verstümmelte Gürteltier hoch und experimentierte damit auf dem Nachttisch
herum, versuchte – wie ich es versucht hatte –, eine Stellung zu finden, in der
es stehen, oder, wenigstens halbwegs bequem und würdevoll, liegen konnte; es
ging nicht. Das Ding war verkrüppelt; es war zum Invaliden gemacht worden. Und
was hatte Owen wohl mit den Krallen angestellt? fragte ich mich. Was für ein
schreckliches Altarbild hatte er damit konstruiert? Hielten die Krallen den
mörderischen Ball umklammert?
    Und dann versanken Dan und ich immer tiefer in Nachdenken darüber,
ob es nicht möglich sei, dem Gürteltier ein halbwegs annehmbares Aussehen zu
geben – doch genau darin bestand das Problem, meinte Dan schließlich: was
geschehen war, war schlicht und einfach unmöglich. Und völlig unannehmbar! Und
dennoch mußten wir damit leben.
    »Wirklich brillant – wirklich genial«, murmelte Dan immer wieder,
bis er auf dem anderen Bett in meinem Zimmer einschlief, dort, wo Owen so viele
Nächte verbracht hatte, und ich deckte ihn zu und ließ ihn schlafen. Als meine
Großmutter kam, um mir einen Gutenachtkuß zu geben, gab sie auch Dan einen.
Dann entdeckte ich im schwachen Licht der Nachttischlampe, als ich die flache
Schublade des Tischchens öffnete, daß ich das Gürteltier so unterbringen
konnte, daß ich mir dabei etwas ganz anderes darunter vorstellen konnte. Halb
in der Schublade und [128]  halb draußen ähnelte
es einem Wassertier – schien nur aus Kopf

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