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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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verkündet, er könne nicht lange bleiben;
meine Mutter und meine Großmutter waren höchst erstaunt, daß er überhaupt
gekommen war. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, wenn er ausging. Sein [175]  einfacher marineblauer Anzug war aus dem gleichen
billigen Stoff wie der von Owen – hatte aber vielleicht eine bessere Behandlung
genossen, da Owen in seinem Anzug oft in der Luft herumhing; ob Mr.   Meanys
Taschen auch noch zugenäht waren, konnte ich nicht feststellen. Owens Anzug
hatte Falten – direkt über dem Hosensaum und an den Ärmeln, woran man erkennen
konnte, daß etwas Stoff herausgelassen worden war; aber nur so wenig, daß Owen
aussah, als wachse er mit der Geschwindigkeit eines unterernährten Baumes.
    » ICH WILL ABER NOCH BLEIBEN «, sagte
Owen.
    »Tabby wird dich an ihrem Hochzeitstag aber nicht nach Hause
bringen«, gab Mr.   Meany ihm zu bedenken.
    »Mein Vater oder meine Mutter bringt Owen nach Hause, Sir«, meinte
Noah. Meine Vettern – so grob sie auch mit anderen Kindern umgehen konnten – waren dazu erzogen worden, zu Erwachsenen höflich und zuvorkommend zu sein, und
Noahs Fröhlichkeit schien Mr.   Meany zu überraschen. Ich stellte ihn meinen
Vettern vor, doch ich merkte sofort, daß Owen seinen Vater außer Reichweite
bringen wollte, und zwar auf der Stelle – vielleicht aus Angst, daß Hester
jeden Augenblick hinter der Ligusterhecke hervorkommen und ihre Unterhose
zurückverlangen könnte.
    Mr.   Meany war in seinem Lieferwagen gekommen, und einige Gäste
hatten ihm die Ausfahrt versperrt, also ging ich mit ihm und Owen los, um die
Besitzer der Autos ausfindig zu machen. Wir waren bereits am anderen Ende des
Rasens und hatten die Ligusterhecke schon weit hinter uns, als ich sah, wie
Hesters nackter Arm aus der Hecke hervorkam. »Gib sie rüber!« sagte sie, und
Noah und Simon fingen an, sie zu necken.
    »Was soll ich rübergeben?« fragte Simon.
    Owen und ich schrieben die Nummern der Autos auf, die Mr.   Meanys
Lieferwagen blockierten, und dann gab ich Großmutter die Liste, der es Spaß
machte, mit der Stimme von Maughams Mrs.   Culver aus Finden
Sie, daß Constanze sicb richtig verhält? [176]  Ankündigungen
vorzutragen. Es dauerte eine Weile, bis Mr.   Meanys Lieferwagen befreit war;
Owen war sichtlich ruhiger, nachdem sein Vater weg war.
    Er hielt das noch fast volle Sektglas seines Vaters in der Hand, und
ich riet ihm, nichts davon zu trinken; ich war sicher, daß der Champagner nach
Gewürzgurken schmeckte. Wir gingen uns die Hochzeitsgeschenke ansehen, und ich
stellte fest, daß das Geschenk von Owen und seinem Vater äußerst günstig
plaziert war.
    » ICH HAB ES SELBST GEMACHT «, meinte
Owen. Zuerst dachte ich, er rede von dem Weihnachtspapier, doch dann merkte
ich, daß er das Geschenk selbst meinte. » MEIN VATER HAT
MIR GEHOLFEN, DEN RICHTIGEN STEIN AUSZUSUCHEN «, gab Owen zu. Um
Himmels willen, es ist also tatsächlich Granit! dachte ich.
    Owen war betrübt, daß die frisch Verheirateten die Geschenke erst
nach den Flitterwochen auspacken wollten, doch er beherrschte sich und
beschrieb mir das Geschenk nicht. Ich würde es mir ja noch jahrelang ansehen
können, erklärte er. Das stimmte allerdings.
    Es war ein ziegelsteinförmiges Stück edelsten Granits – » GEDENKSTEINQUALITÄT, SO GUTE GIBT ES SONST NUR IN BARRE «,
sagte Owen. Er hatte es selbst geschnitten und selbst poliert, hatte selbst die
Kanten gemeißelt, und auch die Gravur stammte von ihm selbst. Er hatte nach der
Schule und an den Wochenenden daran gearbeitet. Es sah aus wie ein Grabstein
für ein geliebtes Haustier – bestenfalls für eine Totgeburt; aber eigentlich
doch eher für eine Katze oder einen Hamster. Es sollte flach liegen, wie ein
Laib Brot, und eingraviert war das ungefähre Hochzeitsdatum:
    JULI
1952
    [177]  Ob Owen das genaue Datum
vorher nicht gewußt hatte, oder ob es Stunden mehr an Arbeit gekostet hätte – oder ob es seiner Vorstellung von Ästhetik widersprach –, das kann ich nicht
sagen. Für einen Briefbeschwerer war es zu groß und zu schwer. Obwohl Owen
diesen Verwendungszweck später vorschlug, gab er doch zu, daß es als
Türanschlag viel brauchbarer war. Jahrelang – ehe er es mir gab – benutzte Dan
Needham es pflichtbewußt als Türanschlag und stieß sich oft die Zehen daran.
Doch wozu man es auch benutzen würde, es mußte im Freien sein, wo Owen es immer
sehen konnte, wenn er uns besuchen kam; er war stolz darauf, und meine Mutter
fand es

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