Owen Meany
und Dan, doch als sie aus dem Buick
ausstieg – nur für eine Sekunde –, prallte ein Hagelkorn vom Dach ab und traf
sie genau zwischen den Augen.
»Au!« rief sie und hielt sich den Kopf.
» ES TUT MIR LEID !« sagte Owen sofort.
»Los, geh schon rein«, meinte meine Mutter lachend.
[182] Dann fuhren sie los.
In diesem Augenblick merkte Hester, daß Owen sich erfolgreich mit
ihrer Unterhose davongemacht hatte.
Sie rannte auf die Auffahrt hinaus, stemmte die Hände in die Hüften
und starrte dem Auto nach, das langsam davonfuhr; Dan und meine Mutter, die
nach vorn blickten, streckten trotz des Hagels die Hände aus dem Fenster und
winkten. Owen drehte sich um und schaute zurück; sein Grinsen breitete sich
übers ganze Gesicht, und an der weißen Farbe konnte man genau erkennen, womit
er Hester zuwinkte.
»He! Du kleiner Scheißkerl!« rief Hester. Doch der Hagel wurde
wieder zu Regen; Hester war im Nu klatschnaß, wie sie da in der Auffahrt stand – und ihr gelbes Kleid klebte so an ihrem Körper, daß man unschwer erkennen
konnte, was ihr fehlte. Sie stürzte aufs Haus zu.
»Mein liebes junges Fräulein«, sagte meine Tante Martha, »wo um
alles in der Welt ist denn deine…«
»Gütiger Himmel, Hester!« meinte meine Großmutter.
Doch der Himmel sah nicht gütig aus, nicht in diesem Augenblick. Und
die altjüngferlichen Bekannten meiner Großmutter, die Hester beobachteten,
müssen wohl gedacht haben: Das mag zwar Marthas Tochter sein, aber sie hat mehr
von Tabbys Problemen in sich stecken.
Simon und Noah sammelten Hagelkörner auf, ehe sie im Regen schmelzen
konnten. Ich rannte zu ihnen hinaus. Sie bewarfen mich mit einigen größeren
Schloßen; ich sammelte auch welche auf und feuerte zurück. Ich war erstaunt,
wie kalt der Hagel doch war – als sei er aus einem anderen, eisigen Universum
zur Erde gereist. Und als ich eine Schloße, die so groß wie eine Murmel war, in
der Hand fest zusammendrückte und spürte, wie sie dort schmolz, war ich auch
erstaunt, wie hart sie war; so hart wie ein Baseball.
[183] Mr. Chickering, der dicke
freundliche Trainer der Schülermannschaft – der Mann, der an jenem Tag
entschieden hatte, daß Owen für mich schlagen sollte, der Mann, der zu Owen
gesagt hatte: »Schlag los!« – Mr. Chickering verbringt seine letzten Tage in
einem Soldatenheim in der Court Street. Die trümmerhaften Visionen, mit denen
ihn die Alzheimer-Krankheit bombardiert, machen ihn nervös und zugleich benommen,
aber dennoch auf merkwürdige Weise wachsam. Wie jemand, der unter einem Baum
sitzt, von dem aus eine Horde Kinder Eicheln auf ihn herabwirft, scheint er
jeden Moment damit zu rechnen, getroffen zu werden, er scheint sich sogar
darauf zu freuen, doch er hat keine Ahnung, woher diese Eicheln kommen (obwohl
er doch den starken Baumstamm in seinem Rücken spüren muß). Wenn ich ihn
besuche – wenn die Eicheln auf ihn herabprasseln und ihn treffen – wird er
sofort munter. »Du bist als nächster dran, Johnny!« sagt er fröhlich. Und
einmal sagte er: »Owen schlägt für dich, Johnny!« Aber manchmal ist er auch
weit weg; vielleicht dreht er gerade das Gesicht meiner Mutter auf die Seite,
drückt ihr zuvor jedoch behutsam die Augen zu – oder er zieht ihr den Rock hinab
übers Knie, anstandshalber, und legt ihre Beine zusammen. Einmal, als er mich
nicht zu erkennen schien – als keine zusammenhängende Unterhaltung mit ihm
möglich war –, hob er die Stimme, als ich gehen wollte; seine traurige,
nachdenkliche Stimme sagte: »Da guckst du jetzt nicht hin, Johnny.«
Bei der Beerdigung meiner Mutter, in der Hurd’s Church, war Mr.
Chickering sichtlich gerührt. Ich bin sicher, daß er sie nur ein einziges Mal
berührt hat, nämlich als er ihren Körper etwas dezenter hinlegte; die Erinnerung
daran, und an die Fragen von Chief Pike nach dem »Todeswerkzeug«, der
»Mordwaffe«, hatte ihn ganz offensichtlich durcheinandergebracht, denn er
weinte ganz offen beim Begräbnis, als trauere er um den Tod des Baseballspieles
selbst. Schließlich hatten nicht nur Owen und ich der Mannschaft – und diesem
fürchterlichen Spiel – für immer den Rücken [184] gekehrt;
weitere Mitglieder der Schülermannschaft hatten diesen schrecklichen Unfall als
Gelegenheit benutzt, dieser öden Verpflichtung zu entkommen, die vor allem der
Vorstellung ihrer Eltern von etwas, das »gut für sie« war, entsprach und
weniger auf ihrer eigenen Entscheidung für diesen Sport beruhte.
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