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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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besondere
Anziehungskraft besaß die Tatsache, daß sie eine »gefallene« Tochter hatte, die
diesen Augenblick wählte, um sich wieder in die Reihen der Respektierlichen
einzugliedern. Da hat diese Tabby Wheelwright wahrhaftig auch noch die Stirn,
in Weiß zu erscheinen, dachten sicherlich einige der alten Jungfern aus dem
Bridgeclub meiner Großmutter. Doch der Gedanke an die Vielfalt der Gerüchte,
die in der Gesellschaft von Gravesend in Umlauf waren, ist mir erst im
nachhinein gekommen. Damals dachte ich eigentlich nur, daß viele Leute da
waren.
    Das Segensgebet wurde von Captain Wiggin genuschelt, der keinerlei
Gefühl für Sinneinschnitte hatte; entweder trampelte er einfach über die
Satzzeichen hinweg, oder er pausierte und hielt den Atem so lange an, daß man
schon meinte, jemand ziele mit dem Gewehr auf seinen Kopf. »O gnädiger und
ewiger Gott, du hast uns als Mann und Frau nach deinem Bild geschaffen. Sieh
gnädig auf diesen Mann und diese Frau, die gekommen sind, deinen Segen zu
empfangen, und stehe ihnen in Gnaden bei«, keuchte er.
    Dann gaben sich Mr.   Merrill und Mr.   Wiggin einer Art [171]  Wettbewerb hin, bei dem jeder seine Vorstellung
von relevanten Bibelpassagen zum Ausdruck brachte – wobei Mr.   Merrills Passagen
eher sachlich und die von Mr.   Wiggin eher blumig waren. Der Rector griff auf
den Epheserbrief zurück und rief uns auf, unser Augenmerk zu richten auf den
»rechten Vater über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden«; dann
ging er über zum Kolosserbrief, zu der Stelle über »die Liebe, die da ist das
Band der Vollkommenheit«; und endlich schloß er mit Markus: »So sind sie nun
nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.«
    Pastor Merrill fing an mit dem Hohelied Salomos: »Viele Wasser
können die Liebe nicht auslöschen«, las er. Dann schlug er mit dem
Korintherbrief auf uns ein (»Die Liebe ist langmütig und freundlich«) und gab
uns den Rest mit Johannes: »Liebet einander wie ich euch geliebt habe.« In
diesem Augenblick schneuzte sich Owen Meany die Nase, woraufhin ich nach hinten
in seine Bankreihe schaute, wo er auf einem reichlich hohen Stapel Gebetbücher
saß – um über die Eastmans im allgemeinen und über Onkel Alfred im besonderen
hinwegschauen zu können.
    Dann gab es einen Empfang in unserem Haus in der Front Street. Es
war ein drückend heißer, diesiger Tag, und meine Großmutter beschwerte sich,
daß dieses Wetter ihrem Rosengarten gar nicht behagte; und wirklich, die Rosen
sahen in der Hitze ganz welk aus. Es war einer von den Tagen, auf denen eine
solche Trägheit lastet, daß nur die Erfrischung durch ein heftiges Gewitter
Abhilfe schaffen kann; auch meine Großmutter klagte, daß möglicherweise ein
Gewitter im Anzug sei. Dennoch wurden Bar und Buffet draußen auf dem Rasen aufgebaut;
die Männer zogen ihre Jacketts aus, krempelten die Hemdsärmel hoch, lockerten
die Krawatten und schwitzten durch die Hemden – es stieß auf Großmutters
besondere Mißbilligung, daß einige von ihnen ihre Jacken auf die Ligusterhecken
legten, was die sonst makellos grüne Begrenzung des Rosengartens aussehen ließ,
als sei sie mit Müll überstreut, der aus einem anderen Stadtteil herübergeweht
war. Einige [172]  der Frauen fächelten sich kühle
Luft zu; manche schlüpften aus ihren Stöckelschuhen und liefen barfuß über den
Rasen.
    Der Plan, die Ziegelsteinterrasse zum Tanzparkett umzufunktionieren,
war recht bald wieder aufgegeben worden, weil man sich nicht über die Musik
einigen konnte – ein weiser Entschluß, fand meine Großmutter; sie hielt es für
einen weisen Entschluß, daß bei so drückendem Wetter nicht getanzt wurde.
    Doch es war eine typische Sommerhochzeit – schwül, eine Zeitlang
recht angenehm, doch dann wurde es unerträglich heiß. Onkel Alfred gab vor mir
und meinen Vettern damit an, daß er ein Bier in einem Zug leergetrunken hatte.
Ein streunender Beagle, der einer neuzugezogenen Familie in der Pine Street
gehörte, machte sich mit mehreren kleinen Gebäckstücken vom Tisch mit Kaffee
und Kuchen aus dem Staub. Mr.   Meany, der so steif in der Gratulationsschlange
stand, daß man annehmen mochte, er habe Granit in den Taschen, wurde rot, als
er an die Reihe kam, die Braut zu küssen. »Owen hat das Hochzeitsgeschenk«,
meinte er und drehte sich schnell um. »Wir haben nur ein Geschenk, von uns
beiden.« Mr.   Meany und Owen waren die einzigen, die einen dunklen Anzug trugen,
und Simon machte eine Bemerkung zu Owen,

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