Owen Meany
Academy benannt, einem kinderlosen
Puritaner. Ohne das neutrale Territorium der Hurd’s Church hätte meine Mutter
vielleicht einen interkonfessionellen Krieg vom Zaun gebrochen – denn wo hätte
sie sich trauen lassen sollen? Großmutter wollte, daß Rev. Lewis Merrill die
Messe hielt, und Rev. Dudley Wiggin hatte guten Grund zu erwarten, daß er dieses Amt ausüben dürfe.
Glücklicherweise gab es einen goldenen Mittelweg. Als Mitglied des
Lehrkörpers der Gravesend Academy hatte Dan Needham ein Recht darauf, die
Hurd’s Church zu benutzen – besonders für die überaus wichtige Hochzeit und die
kurz darauf folgende Beerdigung – und Hurd’s Church war ein Muster an
Neutralität. Niemand konnte sich an die Konfession des Schulpfarrers erinnern,
er war ein steinalter Gentleman, der mit Vorliebe Fliegen trug und die
Angewohnheit hatte, seinen Talar mit dem Stock am Boden festzunageln; er litt
an Gicht. Seine Rolle in der Hurd’s Church beschränkte sich auf die eines
Zeremonienmeisters, da er selten selbst eine Predigt hielt; er begrüßte einen
Gastprediger nach dem anderen, und jeder von ihnen war extravaganter oder
umstrittener als er selbst. Rev. »Pinky« Scammon unterrichtete ebenfalls
Religion an der Gravesend Academy, und seine Unterrichtsstunden waren bekannt
dafür, daß sie mit einer Apologie auf Kierkegaard anfingen und aufhörten; doch
der clevere Pinky Scammon delegierte auch einen großen Teil seines Unterrichts
an die Gastprediger. Er lud sie jedesmal ein, doch bis Montag dazubleiben und
dann in seinen Klassen eine Stunde zu [169] geben;
den Rest der Woche verbrachte Mr. Scammon mit Diskussionen darüber, was der
interessante Gast gesagt hatte.
Das graue Granitgebäude der Kirche, die so schlicht war, daß man sie
mit dem Grundbuchamt oder der Stadtbibliothek oder dem Wasserwerk hätte
verwechseln können, schien sich um das von der Gicht gezeichnete Hinken und die
versteinerten Gesichtszüge des alten Mr. Scammon herumgebildet zu haben. Die
Kirche war dunkel und schäbig, aber gemütlich – zwischen den Bankreihen war
Platz und die Bänke so ausgesessen, daß sie zum sofortigen Eindösen luden; das
Licht, das von all dem Stein absorbiert wurde, war grau, aber weich; die
Akustik, vielleicht das einzige Wunder der Kirche, war rein und voll. Jeder
Prediger klang besser, als er in Wirklichkeit war; jedes Lied tönte klar und
rein; jedes Gebet drang deutlich bis zur Gemeinde; die Orgel klang wie die
einer Kathedrale. Wenn man die Augen schloß – und in Hurd’s Church neigte man
dazu, die Augen zu schließen –, konnte man sich vorstellen, in Europa zu sein.
Generationen von Schülern der Academy hatten in die Holzablage für
die Gesangbücher die Namen ihrer Freundinnen und Ergebnisse von Footballspielen
eingekerbt; Generationen von Hausmeistern hatten die eklatantesten Obszönitäten
mit dem Sandstrahlgebläse entfernt, obwohl sich gelegentlich ein frisch
eingravierter »Saftarsch« oder »Schweinepriester« in den Holzlatten fand, die
die zerfledderten Gesangbücher beherbergten. Angesichts der Dunkelheit dieses
Ortes war Hurd’s Church besser für eine Beerdigung als für eine Hochzeit
geeignet; doch für meine Mutter wurde sowohl die Hochzeit als auch die
Beerdigung hier zelebriert.
Die Hochzeitsmesse in Hurd’s Church wurde von Pastor Merrill und
Rector Wiggin gehalten, denen es gelang, jede Peinlichkeit und jedes
demonstrative Wetteifern miteinander zu vermeiden. Der alte Pinky Scammon
nickte friedlich zu allem, was die beiden [170] Geistlichen
zu sagen hatten. Für die Elemente der Feier, die aus dem Stegreif gesprochen
werden konnten, war Pastor Merrill verantwortlich, der sich kurz faßte und
reizend war – seine Nervosität machte sich wie stets nur durch ein leichtes
Stottern bemerkbar. Pastor Merrill hielt auch die Eingangsliturgie. »Liebe
Gemeinde! Wir sind vor Gottes Angesicht zusammengekommen, um Zeugen der
Verbindung dieses Mannes und dieser Frau im heiligen Bund der Ehe zu werden und
um sie zu segnen«, fing er an, und ich bemerkte, daß die Kirche gerammelt voll
und bis auf den letzten Platz belegt war. Aus der Academy waren sie in Scharen
gekommen, und es war die übliche Menge an Frauen aus der Generation meiner
Großmutter da, die zu allen Gelegenheiten herbeieilten, bei denen sie meine
Großmutter sehen konnten, die – für die Frauen ihres Alters – der in Gravesend
verbreiteten Vorstellung von Majestät am nächsten kam; und eine
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