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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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daß dieser feierliche
Sonntagsschulaufzug doch wohl etwas unangebracht sei.
    »Du siehst aus, als wärst du auf einer Beerdigung, Owen«, meinte
Simon.
    Owen war verletzt und blickte beleidigt drein.
    »War doch nur Spaß«, lenkte Simon ein.
    Doch Owen war noch immer beleidigt und machte sich nun daran, alle
Hochzeitsgeschenke auf der Terrasse neu anzuordnen, und zwar so, daß das
Geschenk von ihm und seinem Vater in der Mitte lag. Auf dem Geschenkpapier
prangten Weihnachtsbäume, und das Geschenk selbst, das Owen nur mit beiden
Händen hochheben konnte, hatte Form und Gewicht eines Ziegelsteines. Ich war
sicher, daß es Granit war.
    [173]  »Das ist wahrscheinlich Owens einziger Anzug, du Arschloch«, sagte Hester zu Simon; sie
stritten sich. Es war das erstemal, daß ich Hester in einem Kleid zu sehen
bekam; sie sah wirklich hübsch aus. Es war ein gelbes Kleid, und Hester war
braungebrannt; ihr schwarzes Haar war so wirr wie ein Dornenstrauch in der
Hitze, doch ihre Reflexe schienen auf die gesellschaftlichen Herausforderungen
einer Hochzeit im Freien bestens vorbereitet. Als Noah sie mit einer Kröte, die
er gefangen hatte, erschrecken wollte, nahm Hester ihm das Tier weg und schlug Simon
damit ins Gesicht.
    »Ich glaub, du hast sie totgemacht, Hester«, sagte Noah, beugte sich
über das reglose Tier und zeigte sich darum weitaus besorgter als um das
Gesicht seines Bruders.
    »Das ist nicht meine Schuld«, gab Hester zurück. »Du hast angefangen.«
    Meine Großmutter hatte nur die Toiletten im Erdgeschoß für die
Hochzeitsgäste freigegeben, deshalb bildeten sich dort recht lange Schlangen – es gab nur zwei. Lydia hatte zwei Papphemden gemacht und mit »Gentlemen« und
»Ladies« beschriftet; die Ladies standen in der wesentlich längeren Schlange.
    Als Hester in eines der oberen Bäder verschwinden wollte – sie
meinte, sie gehöre zur »Familie« und müsse sich deshalb nicht an die
Vorschriften für die Gäste halten –, sagte ihre Mutter zu ihr, sie solle sich wie
jeder andere hinten anstellen. Meine Tante Martha konnte – wie viele Amerikaner – recht tyrannisch werden, wenn es um die Verteidigung der Demokratie ging.
Noah, Simon, Owen und ich brüsteten uns damit, daß wir hinter den Hecken
pinkeln konnten, und Hester bat uns um ein wenig Unterstützung – damit sie es
uns gleichtun konnte. Sie bat darum, daß einer Wache schob – damit nicht andere
Jungen und Männer, die das Bedürfnis verspürten, sich in den dichteren
Bereichen der Ligusterhecke zu erleichtern, sie aus der Hocke aufschreckten;
und sie bat darum, daß einer auf ihre Unterhose aufpaßte. Davor, das war
vorauszusehen, [174]  schreckten ihre Brüder
zurück und ergingen sich in spöttischen Kommentaren, wie reizvoll es doch sei,
Hesters Unterhosen zu halten – egal, unter welchen Umständen. Ich reagierte,
wie immer, zu langsam. Hester stieg einfach aus ihrer Unterhose und reichte den
weißen Baumwollslip Owen Meany.
    Man hätte meinen können, sie habe ihm ein lebendiges Gürteltier in
die Hand gedrückt; in seinem kleinen Gesicht spiegelten sich seine
hingebungsvolle Neugier und seine Ängstlichkeit wider. Doch Noah riß Owen den
Slip aus den Händen, und Simon nahm ihn seinem Bruder weg und zog ihn Owen über
den Kopf – er paßte ganz gut darüber, und sein Gesicht schaute aus einem der
Löcher für Hesters kräftige Beine heraus. Owen wurde rot und riß sich die Hose
vom Kopf; doch als er versuchte, sie in seine Jackentasche zu stopfen, stellte
er fest, daß die Seitentaschen noch zugenäht waren. Obwohl er diesen Anzug
schon jahrelang in die Sonntagsschule angezogen hatte, waren die Taschen noch
nicht aufgetrennt worden; oder vielleicht dachte er auch, sie müßten zu sein.
Doch er faßte sich schnell und stopfte die Hose in die Innentasche, die sich
etwas ausbeulte. Immerhin hatte er die Hose nicht mehr auf dem Kopf, als sein
Vater zu ihm herüberkam und Noah und Simon begannen, mit den Füßen am Boden
herumzuscharren, zwischen den Grasbüscheln und den vertrockneten Zweigen direkt
bei der Ligusterhecke; sie schafften es damit, Hesters Pinkelgeräusche zu
übertönen.
    Mr.   Meany rührte mit einer Gewürzgurke, die so dick war wie sein
Zeigefinger, in einem Glas Champagner herum. Er hatte noch keinen Tropfen davon
getrunken, doch es schien ihm Spaß zu machen, die Gurke immer wieder
hineinzutauchen.
    »Kommst du mit nach Hause, Owen?« fragte Mr.   Meany. Schon als er
angekommen war beim Empfang, hatte er

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