P. S. Ich töte dich
sollten. Die Rechnung war einfach: 30-jährige Schweden geben mehr für Bräute aus als 18-jährige Einwanderer für ihre Kumpels. Aber sie lagen falsch – wir hatten an dem Abend nämlich vor, sowohl ordentlich Getränke zu konsumieren als auch Bräute einzuladen. Wir wollten jeder mindestens tausend Kröten verprassen.
Es kam mir vor wie mitten in der Nacht, als ich hinging, obwohl es erst acht Uhr war. Schon seit drei war es dunkel, ’n langer Nachmittag. Eigentlich hab ich nichts gegen den Winter. Die Stadt sieht schön aus, wenn alles weiß ist. Jedenfalls bevor sich alles in eine matschig graue Pampe verwandelt. Doch wenn der Winter so kalt ist wie jetzt, entsteht ja nicht so schnell ’ne matschige Pampe. Aber grau – das ist klar – wird der Schnee auf jeden Fall. Die Sache mit dem Winter ist die, dass er so viele Erinnerungen wachruft. Viel mehr Erinnerungen als der Frühling oder der Herbst. Als Kind hat man besonders im Winter viele ungewöhnliche Sachen gemacht. Jedes Mal, wenn ich an einem Hügel, Berg oder auch nur einer verschneiten Treppe vorbeikomme, muss ich zum Beispiel daran denken, wie Kevin und ich am Blommensbergsbacken Snowracer gefahren sind. Wir waren so um die zwölf, dreizehn Jahre alt, und die Wohnhäuser hatten sie noch nicht gebaut. Es war ein steiler Hügel, und wir hatten Schaufeln dabei, die wir auf einer Baustelle in der Nähe geklaut hatten. Wir haben dort so ungefähr die größte Sprungschanze seit der Zeit meines großen Bruders gebaut. Aber die letzte Fahrt ging schief. Es hat uns ziemlich hingehauen – Kevin hat nur blaue Flecken davongetragen, aber ich hatte ’ne Gehirnerschütterung. Meine Mutter sagt immer, dass ich deswegen so bin, wie ich bin. Und mein Vater sagt, dass man niemals das
allerletzte
Mal fahren soll. Aber dann könnte man ja überhaupt nicht fahren, oder? Denn wenn man das
allerletzte Mal weglässt, ist das vorletzte das letzte – und dann muss man das auch wieder streichen. Oder? Sie verstehen, was ich meine, ja?
Der Hirschenkeller lag ein Stück entfernt. Ich fror. Meine Arbeitsjacke war zwar gefüttert, aber trotzdem nicht warm genug für dieses Wetter. Allerdings würde sie zu warm sein, um sie drinnen anzubehalten. Ich hatte vor, sie abzugeben, sobald ich angekommen war.
In der Vordertasche meiner Hose begann mein Handy zu vibrieren.
Es war Kevin. Mit wehleidiger Stimme. Er sagte: »Wenn in fünf Minuten keiner kommt, geh ich.«
Typisch. Typisch, dass er überpünktlich ist. Typisch, dass er eingeschnappt ist, sobald man mal ’ne Viertelstunde zu spät ist. Der Kerl kann doch schon mal die Stühle vorwärmen, was ist denn daran so schlimm? Irgendwer muss es ja schließlich tun.
Als ich reinkam, erblickte ich ihn sofort. Er war gerade dabei aufzubrechen. Vor ihm auf dem Tisch stand ein leeres Glas. Er war schon aufgestanden. Hat mich zuerst nicht gesehen. Ich hab gerufen, »alles im grünen Bereich«. Er wirkte nicht mal froh, mich zu sehen, obwohl es Chorizos Geburtstag war, aber dann setzte er sich wieder hin, also konnte es ja nicht so schlimm gewesen sein. Ich fror immer noch. Meine Finger waren kalt wie Eiszapfen, und meine Füße starben langsam ab. Ich gab meine Jacke an der Garderobe ab, die nahezu leer war. Trotzdem saß dort ein Garderobentyp auf ’nem Hocker und wartete, ein kleingewachsenes Jüngelchen, der Nintendo DS spielte und kaum danke sagte, als ich ihm ’nen Zwanziger hinwarf. Gieriges Pack, dachte ich, sie hätten ja wenigstens an Chorizos Geburtstag mal die Garderobe übernehmen können.
Nach ein paar Minuten war Kevin wieder gut drauf. Man kann über ihn sagen, was man will, aber nachtragend ist er nicht. Er quatschte von seiner verdammten Ausbildung, von seinen neuesten Plänen, eine Malerfirma zu gründen oder selbst gesprayte Graffitis zu verkaufen. Nach einigen Minuten tauchten Victor, Saman und Chorizo auf. Sie hatten teurere Jacken an als ich und gaben sie alle an der Garderobe ab. Sie setzten sich, und ich bestellte Bier für alle; wir stießen auf Chorizo an. Wir stießen auf uns an. Wir stießen auf den kältesten Winter seit der Eiszeit in »The Day after Tomorrow« an.
Der Abend war in vollem Gange.
Zwei Stunden später begann ich, die Biere ordentlich zu spüren. Ich bin nicht der Typ, der sich jedes Wochenende heillos besäuft, aber ab und an kommen halt ein paar Biere zusammen. So drei, vier Dosen zieh ich mir freitags nach der Arbeit schon rein, muss ich zugeben. Und später am Abend
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