P S: Verzeih mir!: Roman (German Edition)
einsam und ein wenig traurig. Das war natürlich nicht Graces Absicht gewesen, doch sie konnte nicht anders. Es war fast, als ob … Wieder hielt Leonie inne, als sie ein einzelnes Blatt Papier auseinanderfaltete.
»Liebe Helena,
ich bin nicht sicher, ob Du überhaupt noch hier wohnst, wahrscheinlich nicht, und ich weiß, es ist eine Weile her, aber ich wollte Dich einfach nur wissen lassen, wie leid es mir tut …«
Leonie runzelte die Stirn. Was, zum Teufel? Doch dann auf einmal kam ihr ein Gedanke, und sie hob den zerrissenen Umschlag auf und drehte ihn um.
»Ach, du Blödmann«, stöhnte sie und verfluchte sich, weil sie so hirnlos war. In ihrer Eile hatte sie den Namen vorne auf dem Brief gar nicht gelesen, sondern automatisch angenommen, er sei für sie. Doch der Brief war an Helena Abbott adressiert – die Mieterin, die vorher hier gewohnt hatte.
Sie kam sich wirklich ziemlich dumm vor und hatte auch ein klein wenig Schuldgefühle, weil sie die Privatkorrespondenz von jemand anderem geöffnet hatte; deshalb stopfte sie den Brief schnell wieder in den Umschlag, als ob sie versuchen wollte, den Fehler ungeschehen zu machen. Doch sie konnte ihn auf keinen Fall wieder versiegeln, da sie so sorglos gewesen war, dass sie beim Öffnen den Umschlag so gut wie in Fetzen gerissen hatte. Sie biss sich auf die Lippe und versuchte nachzudenken, was sie tun sollte. Die Frau bekam immer noch Post hierher, doch die Agentur hatte keine Nachsendeadresse von ihr, was sollte sie also damit anfangen?
Sie holte das Blatt Papier noch einmal heraus und betrachtete es genauer. Es war ein sehr kurzer Brief – nur ein paar hingekritzelte Zeilen, kaum eine Nachricht – von einer Person namens Nathan. Leonie überflog den Text und suchte nach einer Adresse oder etwas, das anzeigen mochte, woher er gekommen war, als ein Satz ihre Aufmerksamkeit besonders fesselte.
»Frage mich nur, ob Du jemals die anderen Briefe erhalten hast? Du hast nie geantwortet (was, wie ich annehme, verständlich ist), aber ich hoffe, sie konnten Dir doch ein paar Dinge erklären.«
Andere Briefe? Leonie dachte zurück an die Kiste mit den Umschlägen, die hinten im Schrank verborgen stand. Sollte er sich zufällig auf diese beziehen? Sie sah sich die Handschrift genauer an und versuchte zu vergleichen. Schwer zu sagen, aber sie sah ganz sicher der eleganten, geschwungenen Schrift sehr ähnlich, die sie vorher gesehen hatte. Fasziniert lief sie ins Schlafzimmer, um die Kiste zu holen.
Sie setzte sich aufs Bett, wickelte das Zellophan aus und nahm zum Vergleich einen Umschlag heraus. Ja, die Schrift darauf war ganz eindeutig dieselbe wie auf dem, der heute gekommen war, und als sie die übrigen durchsah, bemerkte sie, dass sie auch auf den etwa zehn anderen Umschlägen in dieser Kiste war – denjenigen, auf die er sich in dem heutigen Brief bezog. Doch all diese blieben ungeöffnet, so dass Helena Abbott sie ganz klar nicht gelesen hatte – trotz der Hoffnung des Absenders – wie hieß er noch mal? – Nathan, dass sie es getan hätte. Nicht nur das, sondern sie hatte sie zurückgelassen, als sie ausgezogen war. Was ging also hier vor?
In dem Moment knurrte Leonies Magen und erinnerte sie daran, dass sie noch nichts gegessen hatte. Und er erinnerte sie außerdem daran, dass all dies nichts mit ihr zu tun hatte. Aber dennoch konnte sie dem Drang nicht widerstehen, die Nachricht noch einmal zu lesen. Dieser Nathan klang recht nett. Und er war eindeutig begierig, von Helena Abbott zu hören und herauszufinden, ob seine Briefe erklärt hatten … was immer erklärt werden musste.
Leonie fühlte sich schlecht. Sie sollte ihn wissen lassen, dass Helena weggezogen war und dass sie seine Briefe nicht bekommen hatte. Aber es stand ja keine verdammte Absenderadresse auf den Umschlägen, oder?
Was sollte sie also jetzt tun?, fragte sie sich, während sie wieder nach draußen in die Küche ging, um Abendessen zu machen. Es war möglich, dass sie weiterhin Briefe für Helena Abbott an diese Adresse bekam, was ein bisschen blöd war. Und da es wohl kaum wahrscheinlich war, dass Nathan die Antwort erhielt, die er suchte, wollte sie nicht das Risiko eingehen, dass er eines Tages vor ihrer Tür auftauchte und verlangte, mit Helena zu sprechen. Wer wusste schon, was zwischen ihnen passiert war? Nein, dachte sie, während ihre Gedanken rasten und sie ein Fertiggericht in die Mikrowelle schob, sie sollte das hier am besten sehr schnell im Keim
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