Paarungszeit: Roman (German Edition)
in den Endspurt!« Wie konnte Gina nur immer so nervenaufreibend gut gelaunt sein? »Ich weiß genau, wie du dich fühlst, Susn, bei mir war es am Anfang genauso. Denk am besten gar nicht darüber nach, dass du joggst.«
Ich versuchte es. Ich tat mein Bestes, meine immer schwerer werdenden Beine zu vergessen und ihr zuzuhören, wie sie locker über Brautsträuße in Wasserfallform und mintfarbene Hochzeitstorten plauderte, während wir uns hintereinander in schweißtreibendem Tempo über einen schlammigen Pfad wieder dem Wald und der Straße näherten. Meine bescheidenen Beiträge zum Gespräch bestanden aus mehr oder weniger zustimmenden Keuchlauten, und ich war froh, als wir endlich die Kreuzung zur Hauptstraße erreichten. Einen Moment standen wir am Straßenrand, warteten, bis der Bus vorbeigefahren war, der Neuenthal mit Mohnau, dem dortigen Busbahnhof und der Kreisstadt verband. Leer war der Bus, wie meist, da der Großteil der Dorfbewohner entweder ein Auto besaß oder Neuenthal nicht verließ. Nur eine Person saß hinter dem Fahrer, wurde durchgerüttelt, als der Bus ins nächste Schlagloch bretterte, und hielt ihren Indiana-Jones-Hut fest. Was Therese wohl in Mohnau wollte, jetzt, am Abend, da die Geschäfte schon schlossen? Eine beschämende Sekunde lang hoffte ich, sie würde nicht nur nach Mohnau fahren, sondern weiter, in die Kreisstadt, von dort nach München, zum Flughafen, zu einem anderen Flughafen, zu einer Raketenbasis. Dann riss ich mich zusammen.
Es war nur, weil ich das noch ausstehende Kennenlerntreffen zwischen ihr und Timos Eltern so fürchtete. Aber wie predigte Gina mir immer?
»Mit guter Organisation kriegst du jede Situation in den Griff. Mach einfach eine Excel-Tabelle!«
Und genau das würde ich jetzt tun. Zu Hause, nach dem Duschen. Timo war in die Kreisstadt gefahren, zu einem Treffen der örtlichen Aquaristikfans, nichts würde mich von der Aufgabe ablenken, das Treffen minutiös zu planen. Nachher würde ich mich vielleicht kurz im Brautforum umschauen, ein wenig in einem der Romane von Delphine de Brulée blättern und – im Hinblick auf die drohende Anprobe – möglichst früh schlafen gehen. In der Hoffnung, dass ich, obwohl in meinen Träumen wahrscheinlich wieder Pizzastücke, frittierte Frühlingsrollen und Schokotörtchen Polonaise tanzen würden, am nächsten Morgen der Wespentaille und damit meinem Traumkleid wieder ein Stück näher gekommen sein würde.
3.
S akra! Das war der Puls der Großstadt! Hier am Münchener Hauptbahnhof. Eine Weile stand Therese still, ihre Handtasche fest an sich gepresst. Wie der Boden der Bahnhofshalle glänzte, trotz der unzähligen Füße, die auf ihn eintrappelten, all die Absätze, Ledersohlen, die Gummiräder der Rollkoffer. Und wo ging es zur U-Bahn? Verwirrend die Pfeile, die in alle Richtungen gleichzeitig zu weisen schienen. Bürgernah war das nicht! Sie kannte sich aus mit Markierungen. Gerade hatte sie auf der Gemeinderatssitzung in der Feuerwehrkneipe vorgeschlagen, das bestimmt vierzig Jahre alte, zackig gezeichnete Tännchen am Neuenthaler Uferweg, das fatal an Försterliesel-Filme erinnerte, durch ein modernes Türmchen zu ersetzen, ein Hinweis auf eine Sehenswürdigkeit, den Aussichtsturm. Zwei Fliegen mit einer Klappe, so liebte sie es! Aber gegen den Sturm der Empörung der konservativen Tännchen-Fraktion kam sie nicht an: Eine Türmchenmarkierung würde die naturliebenden, tännchengewohnten Touristen zutiefst verstören und sie womöglich in die Irre führen. Schmarrn! Als ob man von einem Rundweg abkommen könnte! Aber so war eben die Politik. Meist setzten sich die Falschen durch. Zumindest in Neuenthal.
Endlich fand sie die U-Bahn-Station und erlebte vor dem Fahrkartenautomaten, ausgesetzt dem Informationswirrwarr von inneren und äußeren Zonen, Streifenkarten und Kurzstrecken, einen Moment tiefster Ratlosigkeit, vielleicht gar jener Gottverlassenheit, von der kürzlich der Pfarrer gepredigt hatte. Natürlich im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in der Gemeindebibliothek. Sie drückte wahllos einen Knopf und schob einen Zehneuroschein in den Schlitz, den der Automat sofort verschlang. Um weitere fünfzig Cent nachzufordern, bevor er eine Fahrkarte ausspuckte, mit der sie vermutlich München umrunden konnte. Vielleicht sogar die Erde. Zumindest fühlte sie sich wie nach einer schnellen Erdumrundung, als sie nach nur einer Station wieder ausstieg, seltsam schwerelos, beschwingt. Sie zog die Wegbeschreibung von
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