Paarungszeit: Roman (German Edition)
Ich hatte nach der akribischen Vorbereitung des Schwiegerelternbesuchs und meiner Frage, die ich ins Brautforum gestellt hatte, nicht einschlafen können und die halbe Nacht gelesen.
»Eine Führung. Neuenthaler Stadtgeschichte. Außer der Reihe. Bis gleich im Laden, ich mach einen Kaffee, ja?«
»Aber ohne Milch und Zucker!«
Umsonst. Sie hatte schon aufgelegt. Stadtgeschichte! Ausgerechnet. Die Führung »Idyllisches Neuenthal« war mir um einiges lieber. Besonders jetzt, da Neuenthals idyllische Mücken noch in den zahlreichen Mücken-Frühförderungseinrichtungen wie Sumpfgebieten und Tümpeln geschult wurden, um im Sommer qualifiziert über die Urlauber herzufallen. Wegen der Natur und nicht zuletzt wegen der Mücken waren wir hierhergezogen, Timo und ich, in meinen Heimatort, weg von der kleinen Stadt am Bodensee, wo Timo herkam und ich studiert hatte. Wir hatten uns vor dem Schaufenster eines Zoogeschäfts kennengelernt. Ich brauchte dringend Ersatz für den zerzausten und etwas abgehalfterten Hamster, den mir eine Kommilitonin über die Ferien anvertraut hatte und der eines Nachts einfach aus dem Laufrad gefallen war. Obwohl ich mich streng an alle Pflege- und Fütteranweisungen gehalten hatte. Verzweifelt suchte ich das Schaufenster ab: vor allem Aquarien. Dazwischen ein Käfig mit einem in sich gekehrten Kanarienvogel. Und ein kleinerer Käfig, in dem – Gott sei Dank! – ein drahtiges braunes Tierchen auf seinem Laufrad sportelte. Ob ich meiner Kommilitonin diesen Ersatzhamster, der so viel dynamischer schien als das ursprüngliche Exemplar, einfach unterjubeln konnte? Und was hatte ich nur falsch gemacht? Ich lehnte mich ans Schaufenster, fragte mich, ob ich den Hamster vielleicht mit einem halben Milligramm Valium so weit chillen konnte, dass er dem tatterigen Exemplar der Freundin wenigstens annähernd glich. Als mich jemand – Timo! – ansprach, zuckte ich zusammen.
Ob ich mich auch für Zierfische interessiere? Betört von Timos schokopuddingfarbenen Augen, hauchte ich ein unüberlegtes und meiner Hamsterverwirrung geschuldetes: »Ja.«
Eine Viertelstunde später verließen wir gemeinsam das Zoogeschäft – mit einem leuchtend blauen Fisch in einem Transportbeutel und einem Käfig mit dem Hamster, der emsig weiterrotierte, als trainiere er für den Hamster-Ironman. Beim anschließenden Cappuccino in der Eisdiele riet Timo mir von Tranquilizern ab, und nach etlichen vergeblichen Versuchen, den Arnold Schwarzenegger unter den Hamstern durch tiefenpsychologische Gespräche, Hypnose und Laufradentzug auf ein sportliches Normalmaß zu reduzieren, musste ich meiner Freundin bei ihrer Rückkehr das gesamte Hamsterdilemma beichten. Und dass ich mich maßlos und unsterblich in einen Zierfischfan verliebt hatte, zu dessen Hobby auch das Larvensammeln in freier Natur gehörte.
Seit wir hier in Neuenthal wohnten, hatte Timo mehrere Kulturen angelegt. In Einmachgläsern. Auf dem Balkon. Und, weil es vor kurzem noch einmal einen Kälteeinbruch gegeben hatte, auch in der Küche. Die ich seitdem mit einem gewissen Misstrauen betrat.
Ich schlug das Buch von Delphine de Brulée zu und legte es auf den Nachttisch, sicherheitshalber mit dem Cover nach unten. Auf dem Weg ins Bad pflückte ich Timos Schlafanzug vom Boden. Seit Beginn seines Referendariats in Biologie und Religion stand er jeden Morgen um sieben auf, um zum Gymnasium in der Kreisstadt zu fahren, und dunkel erinnerte ich mich, dass er mich auf die Stirn geküsst hatte, bevor er ging. Danach war ich wieder eingeschlafen und hatte mich im Traum schamlos einem fremden Franzosen an den Hals geworfen, unter einem Croissant-Halbmond. Schon bei dem Gedanken an Croissants lief mir das Wasser im Mund zusammen. Timo hatte keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Es war nur der Hunger.
Ich tappte ins Bad, stellte mich unter die Dusche, mit Duschhaube, und versuchte danach, vorsichtig meine Locken durchzukämmen. Volle, eigensinnige, dunkle Locken, die keinen Föhn vertrugen. In der Schule hatten mich manche Klassenkameradinnen und wahrscheinlich auch der kahle Pudel unserer Lehrerin darum beneidet. Wozu es nicht allzu viel Grund gab: Sich selbst überlassen, uferten sie aus, ohne Lotion und Styling Cream verfilzten sie sofort, und alle Versuche, sie zu glätten, führten dazu, dass ich aussah wie Pumuckl am Bad-Hair-Day.
Timos Duftstoffallergie und sein Wunsch nach Natürlichkeit machten die Pflege nicht unbedingt leichter. Seinetwegen hatte ich es mit Ei-,
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