Paarungszeit: Roman (German Edition)
dampfende Kaffeehaferl und eine Platte mit frisch gebackenem Apfeldatschi.
»Du hast das l bei Verliebte vergessen«, sagte ich, bemüht, den Anblick des Kuchens nicht zu offensichtlich zu inhalieren.
»Mei, wirklich?« Meine Mutter sprang auf, kramte in einer Kiste voller Goldbuchstaben. »Kruzifix, ich hab koa kloans l mehr! Aber mei, a großes is vielleicht erst recht a Blickfang, ha?« Sie zog ein großes goldenes L aus der Kiste und hielt es prüfend ans Licht.
»Wann kommt denn der Rest der Gruppe?« Ich musste schnell hier raus. Bevor ich noch anfing zu sabbern.
Therese schob mit dem goldenen L ihren Hut aus der Stirn, starrte einen Moment den Buchstaben an, als wüsste sie nicht mehr, was sie damit anfangen sollte. Dann ließ sie das L sinken.
»Magst gschwind an Kaffee trinken? Du hast sicher noch nix Gscheits gefrühstückt.«
Der Apfeldatschi schimmerte golden. Er war mit dicken, zuckrigen, einladenden Streuseln bestreut. Unter den Streuseln wartete eine Schicht Zimt. Mit denen die Apfelstücke eine, wie ich von vielen früheren Apfeldatschi-Erlebnissen wusste, geschmacksnervbetörende Liebesbeziehung unterhielten. Der Apfeldatschi meiner Mutter war pures, süßes Glück. Ich hob meinen Blick, der sich daran festsaugen wollte. Am Schaufenster standen immer noch die Touristen, zumindest die Frauen schienen sich kaum einzukriegen vor Entzücken über Alm, Kühe, Holzhaus und Veriebte.
»Wie viele kommen eigentlich noch?«
»Mei … niemand. Sie ham halt vorhin gefragt, was ma hier anschaugn könnt, und da hab i gesogt, meine Tochter macht …«
»Du hast mich wegen vier Leuten hergeholt?«
»Ja, bist dir denn zu schade dafür, als Bätschlerin …«
»Hör bitte mit diesem Bätschlerin-Schmarrn auf.«
»Mei, Susn, Liab, jetzt iss hoit amoi a Stückl Apfeldatschi, a leerer Magen macht schlechte Laune!«
Therese legte das L auf den Ladentisch, schnitt den Kuchen auf.
Du könntest einen Streusel essen, flüsterte mein innerer Pinguin.
Wie mir denn die Deko gefalle, fragte Therese, in gewollt harmlosem Tonfall.
Du hast gestern beim Joggen bestimmt vierhundert Kalorien verbraucht.
Und ob ich nicht auch glaube, dass die eine oder andere Reisegruppe einmal eine echt oberbayerische Trachtenhochzeit erleben wolle?
Du könntest zwei Streusel essen und trotzdem noch abnehmen.
Ob Timo und ich eigentlich etwas gegen ein paar Leute mehr bei unserer kirchlichen Trauung hätten?
Ich schreckte hoch.
»Wir? Bei unserer Trauung? Wieso?«
Nur so. Sie sah mich an, mit schiefgelegtem Kopf und zusammengekniffenen Augen.
»Is scho fesch, des Gwand im Fenster, ha?« Während mein unterzuckertes Hirn noch an einer möglichst unverfänglichen Antwort bastelte, erging sie sich in einem bayerischen Redeschwall, vermutlich hätten die jetzt vorsichtig den Kopf zur Ladentür hereinsteckenden Touristinnen ihn ebenso urig gefunden wie die Dekoration. Wenn sie ihn denn verstanden hätten. Was ich bezweifelte. In meiner Eigenschaft als Führerin hatte ich schon manches Mal das Bayerisch gewisser Einheimischer für Touristen ins Hochdeutsche übertragen, und in meinem Kopf spulte sich die Übersetzung automatisch ab, während Therese redete:
»Woaßt, Susn, i hobs amoi in Größe 40 beschdeid.«
(Weißt du, Susn, ich habe es einmal in Größe 40 bestellt.)
»Sie folln oiwei so kloa aus, und enga mocha dad oiwei no gehn, hosd mi?«
(Sie fallen ja immer so klein aus, und enger machen geht immer, nicht wahr?
Konnte man »hosd mi« wirklich mit »nicht wahr« übersetzen? Und wäre »täte immer gehen« vielleicht angebrachter gewesen?)
»Host gsegn, es is a Satinstoff mit Organza, des is wos ganz wos Edles und damisch teuer, scho im Einkauf, woaßt, aber mei, Susn, für dei Hochzeit …«
(Hast du gesehen, es ist ein Satinstoff mit …) Kruzinesen! Was redete sie da, von irrsinnig teuren, edlen Organzastoffen im Einkauf – sie meinte doch wohl nicht den Moskitonetzschleier? Und von meiner … wie bitte?
Sie ließ das goldene L sinken und strahlte.
»Es gehört dir, Susn! Mei, du werst echt pfundig ausschaugn auf eurer Trachtenhochzeit!«
5.
W ie schwer so ein Kleid werden konnte, wenn man es vor sich hertrug. Und wie weit doch der Weg war von ihrem Laden bis ins Neubaugebiet, wo ihre Tochter wohnte. So schnell gab Therese Engler nicht auf. Auch wenn, wie sie zugeben musste, ihr Plan in den meisten Punkten gescheitert war. Eher in allen Punkten. Es war ihr weder gelungen, Susn dieses Dirndl nahezubringen, noch
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