Paarungszeit: Roman (German Edition)
Olivenöl- und Bierkuren probiert. Ob man Kalorien auch über die Haare aufnahm? Vielleicht lag es daran, dass ich von der Wespe noch so weit entfernt war?
Lange hatte ich das Locken-Gen meines Vaters verflucht. Bis Max Gruber, der coolste Junge unserer Schule, einen Song für mich schrieb: Dark Curled Angel. Der Song wurde beim Schulfest uraufgeführt, Max und ich gingen viereinhalb Wochen miteinander, dann schrieb Max einen Song für die blonde Eva aus der Parallelklasse: Now I See The Light, und die Gemeindebibliothekarin rief bei Therese an, weil ich nach Büchern über Giftmorde gefragt hatte.
Ich gab die Kämmversuche auf, bändigte meine Locken zu einem Pferdeschwanz und zog mich an. Bei einem schwarzen Kaffee schaute ich noch rasch ins Hochzeitsforum, klickte mich durch die Threads Wie war euer Antrag? , hineingestellt von Wedding-Elfe, und was eure hochzeitztorte über euch verät^^ , von quietschentchen, scrollte zu Im Hochzeitskleid der Schwiegermutter heiraten? von Meerjungfrau2012. Noch keine Antwort. Einen kurzen Blick warf ich auf meinen Lieblingsthread Wenn sich der Alltag ins Liebesleben schleicht , beschloss, mir die neuen Beiträge für heute Abend aufzuheben, und machte mich auf den Weg zum Trachtenladen meiner Mutter.
Vor dem Schaufenster standen Touristen, zwei Männer in Lodenjacken und Gamsbarthüten, und zwei Frauen. Vermutlich bewunderten sie Thereses Wahlwerbung an der Scheibe, Plakate, die den Charme eines Fahndungsfotos besaßen. Tradition braucht Zukunft stand unter dem körnigen Schwarzweißbild. Therese trug eins ihrer moderneren Dirndlmodelle, dazu ihren Cowboyhut, sie lächelte und zeigte mit einer Hand unbestimmt nach vorne, dorthin, wo möglicherweise Neuenthals Zukunft lag. Ein peinliches Machwerk, das meine Schwiegereltern möglichst nicht zu sehen bekommen sollten. Gestern Abend hatte ich den genauen Plan ausgearbeitet, wie ich sie bei ihrem Besuch vom Mohnauer Busbahnhof abholen und zu unserer Wohnung lotsen würde, ohne die Hauptstraße Neuenthals auch nur zu streifen. Dabei waren Thereses Wahlplakate noch nicht einmal das Peinlichste. Noch schlimmer waren ihre Aktionen, in die sie ihre nächste Umgebung unbarmherzig einbezog. Zum Beispiel ihr letzter Coup: die Feuerwehrkapelle als Handy-Klingelton, der ihr vor allem junge Wählerstimmen sichern sollte. Der Holzhackermarsch hatte uns alle schon in unangenehme Situationen gebracht: Quirin hatte es in seiner Kleintierpraxis erwischt, bei der Behandlung eines hysterischen Handtaschenhündchens, das anscheinend nicht auf Volksmusik stand und mit einem Stück eilends herbeigeholter Kalbswurst aus einer Ohnmacht geholt werden musste. Gina war mitten in einem Geschäftsessen volkstümlich geoutet worden. Und ich hatte einen Blockflötenvortrag in Timos Schule musikalisch bereichert. Und einen vielversprechenden Traum damit abgewürgt.
Entschlossen zog ich mein Handy heraus, wählte einen neutralen Klingelton. Wie befreit ich mich auf einmal fühlte. Ich straffte die Schultern und ging auf meine Kundschaft zu.
»Ist das nicht urig?«, rief eine der Touristinnen gerade, und ich spähte ihr über die Schulter. Das Fenster war frisch dekoriert, eine bayerische Frühlingslandschaft mit allem, was dazugehörte: eine künstliche Almwiese mit Kühen und Papierblumen, ein Miniatur-Holzhaus mit Blumenbalkon und ein weißblau umkränzter Maibaum. Davor zwei Schaufensterpuppen. Der Mann trug eine enge Kniebundhose aus Leder mit besticktem Hosenlatz, tannengrünen Strümpfen und feschen Wanderschuhen, dazu eine festliche Trachtenjoppe in derselben Farbe. Er stand in einer gezierten Pose und hätte als schwuler Jäger-Walk-Act durchgehen können – von Gina wusste ich, dass es die absurdesten Walk-Acts gab –, wäre da nicht die Frau an seiner Seite gewesen: ein unschuldiges Alpenmädel in einem schneeweißen Dirndl mit Schleier, aus dem gleichen, beinahe durchsichtigen Tüll wie die Ärmel des Kleides. Er umwehte ihren Kopf wie ein überdimensionales Moskitonetz. Tatsächlich, er wehte, Therese hatte eine Windmaschine installiert. Jetzt erst bemerkte ich die Goldbuchstaben, die an einer Schnur von den Wipfeln der Tannen baumelten: Trauen Sie sich in Tracht! Und auf einer weiteren Schnur, über den Köpfen des Paares: Neuenthal, das Hochzeitsparadies für Veriebte. Ich nickte den Touristen grüßend zu, versicherte, ich käme gleich wegen der Führung, und öffnete die Ladentür. Therese thronte hinter der Kasse. Auf dem Ladentisch standen
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