Paarungszeit: Roman (German Edition)
überwand die Akkordeonbarriere.
»You look pfün-dig.« Sanft rückte er ihren verrutschten Hut zurecht.
»Pfundig you mean? I? Äh, i mein: Me?«
»Oui.«
Er streifte sein Akkordeon ab. Oder versuchte es. Aber sein Akkordeon wollte offensichtlich mit ihrem Akkordeon verbunden bleiben, verkantet, wie sich herausstellte. Lucien fluchte, sie beide ruckelten, und die Instrumente gaben Töne von sich, die Therese an Seefahrt denken ließen, Nebelhörner und Leuchttürme. Lucien lachte, und auch in ihr stieg es auf, ein ganz und gar nicht bürgermeisterinnenhaftes Kichern. Kichernd befolgte sie seinen Vorschlag – englisch, französisch, mit Gesten –, sich gemeinsam der Instrumente zu entledigen, auf sein Kommando: »Un, deux, trois!« Worauf ihr für einen Moment das Lachen verging, denn ein Akkordeon ließ sich nicht so einfach abstreifen, vor allem nicht, wenn ein zweites daranhing, das sie nun auch noch trug.
Er hatte sich befreit. Sie kippte nach vorn.
Mit einem entsetzten Ausruf stemmte er sich dagegen, sie stolperte rückwärts, taumelte, eine Sekunde ein sausendes Abgrundgefühl, dann fing sie sich an der Tür des Wickelraums, samt ihrer Last. Sie war akkordeonschwanger. Zwillings-Akkordeon-schwanger. Bei diesem Gedanken stieg es wieder in ihr auf, das Kichern, und er quetschte sich in den Winkel zwischen Wickeltisch und ihr, stützte mit einer Hand, zog mit der anderen am Träger, an ihrem Arm. Auch er lachte wieder, angestrengt, schwerer atmend, sein französisch geschwungener Mund, so nahe, nahe genug, um, mei, was dachte sie da, an ihrem Ohr zu knabbern. Jetzt hatte er ihren Arm befreit, die Akkordeons gerieten in Schräglage, Kruzifix! Zum Glück gab es den Wickeltisch. Es gelang ihr, den anderen Arm herauszuwinden, und gemeinsam setzten sie die Akkordeonzwillinge darauf ab, neben der verletzten kleinen Gitarre.
Und alles andere, mei, es passierte von selbst, dort, in der Ecke zwischen Tür und Wickeltisch: sein Daumen, der sanft über die Stelle strich, wo die Träger eingeschnitten hatten, eine Insel nackter Haut zwischen Hals und Dekolleté. Seine Finger, die weiterwanderten, plötzlich die so empfindliche Haut ihres Nackens streichelten. Ihre Hände auf seinen Schultern, vorsichtig, beinahe mädchenhaft, als würden sie gleich einen Stehblues tanzen. Aber er hatte anderes vor, zog sie fester zu sich heran. Busen an Brust, Bauch an Bauch, und ja, Unterleib an … Aber, Herrgottsakra, er war doch …
»… ned normal!«, stammelte sie. »I mein, des is do ned normal für a …«
Weiter streichelten seine Hände: Nacken, Hals, ihre Schultern unter der Bluse.
»I mein, i bin do a Frau, a Weibsbild, verstehst, Lucien?«
Was redete sie da für einen Schmarrn? Er hörte sowieso nicht zu, streifte jetzt ihren Cowboyhut nach hinten, etwas, das sie bei Matt nicht zugelassen hatte, in den Nacken rutschte der Hut, wanderte von dort zu Boden, und seine Hände wühlten sich in ihre Haare. Sein Grübchenlächeln, jetzt in Pflücknähe. Sie meinte, das Lächeln noch zu spüren, als sie sich küssten. Dass man es in ihrem Alter ausnutzen musste, wenn man schon mal geküsst wurde, dies schoss ihr durch den Kopf, und, ja, auch sie strich durch sein Haar, ließ ihre Hände auf seinem Rücken weiden, ertastete, wenn sie schon dabei war, etwas von dem verlockenden Terrain seines festen Hinterteils. Worauf er seufzte und etwas Französisches flüsterte. Noch enger drängten sie sich aneinander, vergessen war die Akkordeonbarriere, noch nicht einmal mehr ein Piccoloflötchen hätte zwischen sie gepasst. Ihr blieb die Luft weg, als er eine kleine Kussarmee zur Eroberung ihres Halses ausschickte, zur Erstürmung ihres Dekolletés, während seine Hände … und genau in diesem Moment hatte Delphine die Tür aufgerissen.
Sie waren auseinandergestoben, als hätte jemand Dynamit zwischen sie geworfen. Hinter Delphine hatte jemand gestanden, ein Mann. Jessesmariaundjosef, etwa Matt?
Delphine und Lucien hatten gesprochen, aufgeregt und schnell – dieses Französisch war längst nicht so weich und elegant, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der Mann – Matt? bitte nicht Matt! – war verschwunden, und sie hatte sich ebenfalls aus dem Staub gemacht, verwirrt war sie die Treppen hochgetaumelt, auf der Gasse vorbeigestürmt an den lustwandelnden Touristen, hutlos! Sie, Therese Engler! Morgen würde sie im Chez Lutz anrufen und danach fragen müssen. Und jetzt sollte sie endlich ins Bett gehen! Warum war sie nur so
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